Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (23.04.2014)
Gekonnt zerlegt Lydia Steier in der Oper «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss in Bern die Marotten des Regietheaters. Aber auch sängerisch und musikalisch hatte die Premiere am Wochenende ein hohes Niveau.
Das ist die gelungenste Parodie auf die Auswüchse des Regietheaters seit Langem – und wurde am Ende von einem Teil des Berner Publikums als genau das empfunden: Regietheater, das den Opern der Vergangenheit ohne jede Rücksicht auf ihre Substanz ein eigenes verkopftes Konzept überstülpt. Und dieser selbstherrliche Umgang mit dem Kunstwerk ist genau jener Konflikt, den Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, zuerst als Entr’act zur Molière-Komödie «Der Bürger als Edelmann» planten und dann zum abendfüllenden Musiktheater ausbauten: Der reiche Wiener, der seine Privatoper bestellt (und bezahlt) hat, möchte ein wenig abkürzen und das für später bestellte Divertissement lieber gleich in die Oper integrieren.
Hakenkreuz, Phallus – alles da
So nimmt Lydia Steier im Konzert-Theater Bern diese Grundidee virtuos auf und inszeniert lustvoll eine Geisterbahn der Konzeptkunst-Klischees, ein Horrorkabinett der Regieeinfälle. Alles da: Madonna, Lenin, Hakenkreuz, Zeigefinger und Phallus, Leuchtschrift an der Wand («All you can Fuck») oder bedeutungsschwere Inschrift, an die Wand geschmiert mit dem Blut eines geschächteten Rindviehs («Fuck Theseus»). Natürlich auch WC-Schüssel und Waschsalon, geschändete, blutbefleckte Leichen, über die sich Najaden und die einsame Ariadne in eindeu tiger Absicht hermachen. Besoffen natürlich: Ein stattlicher Whisky-Vorrat hat sich auch auf die einsame Insel gerettet. Eine Alte sitzt im Rollstuhl, inhaliert Sauerstoff und grillt Babys. Und das Outfit, in dem Bacchus schliesslich auftritt, zitiert die versammelten Scheusslichkeiten künstlerisch ambitionierter Kostümbildner. Das ist alles witzig, gut gemacht, gut geführt, lebendig und detailreich inszeniert.
Strauss ist die Sache zu ernst
Es gibt nur ein Problem: Der Schluss funktioniert so nicht: Das glühende Pathos, mit dem Strauss Ariadnes todessehnsüchtigen Liebeswahn anrichtete – und als wohl bester Orchestrator der Musikgeschichte tat er das trotz kammermusikalisch besetzten Orchesters mit überwältigender suggestiver Kraft –, dieses Pathos lässt keine Karikierung zu. Es ist so eindimensional echt, wie es nur sein kann – was übrigens Hofmannsthal nicht gefiel. Ariadnes todessüchtige Liebesextase zu dieser Musik bloss als Befreiung von einem lächerlichen Regiekonzept zu inszenieren, ist zu klein gedacht, greift zuwenig tief. Der einmal eingeschlagene Weg wird durchgehalten, bis der goldene Vorhang, der als letztes Element für ein tiefer gehendes Theatererlebnis stehen könnte, auch heruntergerissen ist. Die angestrebte Konzentration auf die Musik gelingt so nicht. Wir sehen zu den verklärten Harfenklängen des Finales die leere Rückwand des Theaters.
Bern erstaunt ein weiteres Mal
Trotzdem macht diese Berner Produktion Spass – auch musikalisch und sängerisch. Claude Eichenberger sang den Komponisten bis auf ein paar wenige forcierte Höhen herausragend, Michael Putsch zeigte als Bacchus zwar viel Emphase, geriet aber etwas zu oft an die Grenzen seiner Stimme, wo ihm Wärme und Farben abhanden kamen. Bettina Jensen liess sich weniger zum Forcieren hinreissen: eine umfassend gelungene, sängerisch vielschichtige Darstellung der Titelrolle. Yun-Jeong Lee gab die Zerbinetta locker, mit koketten Koloraturen und zuverlässig intonationssicher.
Und man staunt erneut: Am Berner Theater machte sich jahrelang höchst mittelmässige pauschale Klangkultur breit. Und jetzt ist nach dem «Schlauen Füchslein» von Janacek, das Mirga Grazinyté-Tyla in zauberhaften Farben ausmodellierte, schon wieder ein Klangmagier im Berner Theater zu hören: Kevin John Edusei hat die komplexe Partitur mit traumwandlerischer Sicherheit im Griff, verschenkt nichts von ihren reizvollen Effekten, ohne den Sängern den Raum zu nehmen. Und die versierten Berner Orchestermusiker zeigten sich, passend zu Ostern, von ihrer Schokoladenseite.