Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (23.04.2014)
«Ariadne auf Naxos» in Bern
Auch in Oper und Konzert kann man bisweilen seine blauen Wunder erleben – zum Beispiel in «Ariadne auf Naxos» von Richard Strauss auf einen Text Hugo von Hofmannsthals. Da spitzt man also die Ohren und horcht in den Graben, wo das Berner Symphonieorchester in kammermusikalisch aufgelichteter Besetzung wirkt; es gibt den Ton vor, den das Ensemble auf der Bühne des Stadttheaters Bern lustvoll und brillant aufnimmt.
Und dafür gesorgt wird von einem Mann am Pult, von dem hie und da schon die Rede war, von dem aber gewiss noch viel mehr die Rede sein wird. Kevin John Edusei heisst der 37-jährige Deutsche aus Bielefeld, und dass seine Haut etwas mehr Pigment enthält, als es hierzulande üblich ist, macht noch nicht einmal seine Besonderheit aus. Aufsehen erregt vielmehr seine Musikalität. Sie erlaubt ihm, sich ganz und gar, nämlich fern jeder Show, der Sache zuzuwenden und ihr eine packende Gegenwärtigkeit zu entlocken. Dass die Orchestermitglieder für ihn auf der Stuhlkante sitzen, versteht sich da von selbst.
So gewinnt «Ariadne auf Naxos», die Oper über eine Oper, im Konzert-Theater Bern musikalisch eine Qualität, die sich allerdings hören lassen darf. Scharf und trocken artikuliert das Vorspiel, in dem die Vorbereitungen zur Uraufführung einer Oper durch eine Anordnung des betuchten Auftraggebers in unerwartete Turbulenzen geraten. Strauss hat sich da an Modellen alter Musik orientiert; wie nah er gleichwohl der Moderne seiner Zeit geblieben ist, wie sehr er geradezu den Boden bereitet hat für das, was nach dem Ersten Weltkrieg zur Zeitoper geworden ist – Edusei lässt es hören. Und raffiniert unmerklich dann die Verwandlung, die sich im Hauptteil nach dem Vorspiel ereignet; hier treten dann die weit ausschwingende Melodielinie und die akkordisch gedachte, chromatisch angereicherte Begleitung in den Vordergrund – zusammen mit einer klanglichen Opulenz, die der Dirigent prächtig zu evozieren versteht. Und da er in beiden Teilen ganz bei den Sängern ist, mit ihnen atmet und phrasiert, erhält der musikalische Verlauf eine stupende Selbstverständlichkeit.
Das hat Folgen – für die vokale Qualität wie für die Spielfreude, die auf der Bühne herrscht. Witzig, wie die junge Regisseurin Lydia Steier das Vorspiel als Theater im Theater aufblättert. Lange Zeit bleibt das Licht im Zuschauerraum an, man fühlt sich als Teil des Geschehens – und tatsächlich bleibt der Mäzen, der von dem ebenso autoritären wie buckelnden Haushofmeister (Uwe Schönbeck) immer wieder zitiert wird, für einmal nicht anonym, sondern tritt als Tattergreis mit hängender Unterlippe, Rollator und Blondine im Minijupe höchstpersönlich in Erscheinung. Den Komponisten, den die Kostümbildnerin Ursula Kudrna als eine Art Elvis aufmacht, ficht diese Präsenz freilich nicht an; die Mezzosopranistin Claude Eichenberger lässt keinen Zweifel an der Kompromisslosigkeit, mit der hier künstlerische Ambitionen verfolgt werden – auch wenn am Ende der Musiklehrer (Kai Wegener) mit seinen Vermittlungsversuchen recht behält. So kommt die Oper mit ihren unverhofften Erweiterungen durch die Commedia dell'Arte schwungvoll in Gang.
Und da beginnen dann die Probleme. Nicht im Vokalen. Yun-Jeong Lee ist eine ebenso versierte wie reizende Zerbinetta, auch Bettina Jensen und Michael Putsch geben als Ariadne und Bacchus ihr Bestes. Nein, die Schwierigkeit liegt darin, dass Lydia Steier in ihrer Inszenierung den Kontrast zwischen der Hohlheit der theatralisch aufgeplusterten Oper und der Wahrhaftigkeit der menschlichen Begegnung nachzuzeichnen versucht. Weshalb sie ihre Bühnenbildnerin Katharina Schlipf ein enormes Arsenal an szenischen Metaphern auffahren lässt, das seine Bedeutungslosigkeit aber nicht zu kommunizieren vermag – dafür hat das Programmheft zu sorgen.
Ihre Kraft entfaltet die Inszenierung erst am Ende, wo sich die Bühne leert, wo Ariadne und Bacchus zueinanderfinden – und die Musik ihren Sog zu entfalten vermag.