Achtung, Regietheater!

Daniel Allenbach, Der Bund (23.04.2014)

Ariadne auf Naxos, 19.04.2014, Bern

Am Stadttheater Bern setzt Lydia Steiers Inszenierung von Richard Strauss’ Oper «Ariadne auf Naxos» auf plakative Kontraste.

Am Ende ist die Theaterbühne so leer, wie sie sich bereits zu Beginn präsentierte. Die durch einen reichen Mäzen kurzfristig forcierte Zusammenarbeit zwischen Opernensemble und Revuetruppe ist vorbei, die beiden Hauptdarsteller haben aufgeräumt und sich vom Regiekonzept der «Oper in der Oper» verabschiedet. Der Materialcontainer mit blutverschmiertem Waschsalon und monströsem Kuscheltier, die Styroporeinöde und die puppenhaften Kostüme sind entsorgt, die Guckkastenbühne ist zur Seite geschoben, der goldene Vorhang zu Boden gerissen.

Es ist Zeit für einen Neuanfang – in der Binnenoper, wenn die zuvor todessehnsüchtige Ariadne mit Bacchus in eine neue Existenz weiterzieht, in der Oper, wenn die Darsteller hinter den Kulissen verschwinden und der Komponist ein letztes Mal die Bühne betritt und seine ganz persönlichen Erlebnisse dieses Abends stumm noch einmal Revue passieren lässt, und in der Realität, wenn das Publikum nach zweieinhalb Stunden wieder in die Wirklichkeit entlassen wird. Doch was nimmt man mit aus diesem unterhaltenden Abend über hehre und frivole Kunst und ihren Bezug zum Leben? Die spassigen Reibereien zwischen zwei unterschiedlichen Künstlertruppen und dem peniblen Haushofmeister, den Uwe Schönbeck – ganz in seinem komödiantischen Element – wieder einmal am Stadttheater verkörpert? Den Glitzer und Glanz der Gauklertruppe, die mit frivolen Kostümen (Ursula Kudrna) in die Welt des ernsthaften Theaters einbricht? Oder doch die grässlich-superben Bilder der Bühneninszenierung mit dem Mahnfinger-Hinweis «Achtung, Regietheater!»?

Hehre Kunst – heitere Komödie

Als Slapstick kommt, nach dem Prolog mit seinen Streitereien und dem vom Haushofmeister geforderten Zusammenzug der Oper mit dem Lustspiel, auch der Anfang der Binnenoper daher. Die lakonische Tristesse und die Wischmopp-Choreografie der drei Grazien (Ani Tanaguchi, Camille Butcher, Ninoslava Jaksic) sind so absurd wie komisch und machen in ihrem Ernst gleichzeitig Schaudern. Wenn Regisseurin Lydia Steier allerdings für die Ironie kein Ende mehr zu finden scheint und das Regietheater-Bashing gar breit auswalzt, beginnt man mehr und mehr mit der armen Ariadne (Bettina Jansen) und ihrer sinnentleerten Selbstentäusserung mitzuleiden. Ein willkommenes Aufatmen bietet da der Einbruch der Zerbinetta-Sphäre, die mit viel Rosa, Showbeleuchtung (Bernhard Bieri) und einer munteren Revuetruppe (Andries Cloete, Wolfgang Resch, Michael Feyfar und Pavel Shmulevich) einen komödiantischen Kontrast zu dieser gespielten Ernsthaftigkeit bietet. Ganz besonders der hoch virtuosen Vokalakrobatik von Yun-Jeong Lee gebührt dabei ein grosses Lob, nicht zuletzt, weil sie die Rolle der Zerbinetta immer wieder mit Leben zu füllen vermag.

Erleichtert ist man auch, wenn Bacchus (Michael Putsch) sich entnervt der unsäglichen Kostüme entledigt und zusammen mit Ariadne das zuvor von der Theatertechnik akribisch aufgebaute Bühnenbild (Katharina Schlipf) wegschaffen lässt. Eine wohltuende Natürlichkeit macht sich so am Ende der Oper bemerkbar – irritierend daran ist allerdings, dass Putsch trotzdem an einer pathetischen und überlebten Operngestik festhält, die jeglichen Naturalismus aufs Schärfste konterkariert.

Momente der Menschlichkeit

All dies ist – zumindest über weite Strecken – ziemlich unterhaltsam, doch zu berühren vermögen in der Inszenierung vor allem jene Momente, die sich durch ihre Menschlichkeit auszeichnen. Bettina Jensens befreit auflebende, sich abschminkende Ariadne in der Schlussszene etwa, oder wenn Yun-Jeong Lee als lebenslustige Revuedarstellerin ihre innere Zerrissenheit und seelische Abgründe offenbart und damit nicht nur den von Claude Eichenberger mit klar konturierter und gefühlvoller Stimme verkörperten schnöseligen Jungkomponisten zu verzaubern vermag. Wenn sich diese beiden Charaktere vor dem geschlossenen Vorhang näherkommen, erlebt man auch als Zuschauer etwas von der Magie dieses Augenblicks. Hier verfügt der Klang des in Kammerformation agierenden Berner Symphonieorchesters über jene Wärme, auf die Kevin John Edusei angesichts des ironisch gebrochenen Stücks sonst oft verzichtet. Die Musik von Richard Strauss aus dem Graben fällt dadurch farbenreich und wohltuend durchsichtig, manchmal aber auch gar kühl aus. Umso eindrücklicher sind die glutvollen Passagen, sei es im silberhellen Pianissimo oder in grandios aufbrausenden Momenten, unter denen stellenweise allerdings die Textverständlichkeit leidet.

Mehrheitlich warm und geprägt von Jubel für die Ausführenden sind schliesslich auch die Reaktionen des Premierenpublikums – wobei leider eine Frage unbeantwortet bleibt: Was hielten wohl der tattrige Mäzen, der die Vorstellung bezahlt hat, und seine junge, Kaugummi kauende Begleiterin von der Inszenierung, die sich da vor ihren Augen abgespielt hatte?