Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (20.05.2014)
Wieder ist Monteverdi-Zeit in Zürich. Fast 40 Jahre, nachdem Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle am Opernhaus den ersten Oper-Titanen dem Vergessen entrissen haben. Jetzt steht «Il Ritorno d’Ulisse in Patria» auf dem Programm.
Der renommierte Opernregisseur Willy Decker hat an praktisch allen grossen Bühnen Europas schon gearbeitet. Nun zeigt er sein Können eindrücklich auch in Zürich. Sein Blick auf Monteverdis «Ulisse» ist angereichert mit psychologischen, mythologischen und auch augenzwinkernd komischen Elementen. Decker hat «Ulisse» als Welttheater angelegt, fragt mit dem im Prolog personifizierten Menschen («L’umana fragilità») – gebeutelt von den Allegorien von Tempo, Fortuna und Amore – nach den letzten, wesentlichen Dingen des Daseins. Dazu passt auch das Bühnenbild von Wolfgang Gussmann: Eine geneigte Scheibe als Chiffre der Welt, dahinter ein festlicher Olymp mit Kronleuchter, Champagner und gutgelaunten Göttern, die sich nach Kräften auf Kosten der Sterblichen amüsieren.
Handwerkliche Präzision
Auf dieser Scheibe, die sich auch drehen lässt, arrangiert Decker ohne viel Aufhebens die in uniformem Schwarz gekleideten Darsteller: wenn sie sie besteigen, werden sie zu Monteverdis Figuren, die manchmal, aber nicht immer, durch ein Attribut weitere Konturen erhalten. Das kann eine Kartonschachtel sein für den Bettler Eumete, das können I-love-P(enelope)-T-Shirts sein für die Freier, die die Strohwitwe ziemlich handfest umgarnen, Papierflieger oder Konfetti, Besen – und natürlich Pfeil und Bogen für die berühmte Prüfung am Ende.
Viele Szenen reizt Decker dezidiert auf ihre komischen Elemente hin aus und erntet dank seiner Präzision mit einfachen Mitteln viele Lacher. Auch sonst ist handwerkliche Präzision der Erfolgsgarant für Deckers Arbeit. Seine Ideen sind nicht besonders originell, aber weil Gestik, Timing, Personenführung immer stimmen, ergibt sich ein hervorragender Gesamteindruck dieses Welttheaters, das bei der Premiere am Samstag vom Zürcher Publikum kräftig beklatscht wurde.
Möglichst nah an Monteverdi
Zu feiern gab es auch die Sänger und Musiker. Als Dirigent vorgesehen war Ivor Bolton, der eine reiche Erfahrung mit Monteverdi mitbringt. Aus gesundheitlichen Gründen musste er das Dirigat des «Ulisse» an der Spitze des hauseigenen Originalklang-Ensembles La Scintilla seinem Assistenten Robert Howarth übergeben. Dieser hatte die Produktion sicher im Griff, schaffte es jederzeit, mit schlüssigen Tempi, federnder Agogik und einem vorwärtsdrängendem Impetus, die Spannung hochzuhalten. Monteverdis Partitur ist nur sehr lückenhaft überliefert, oft fehlt sogar die Bezifferung der Basslinie, womit so entscheidende Fragen wie «Dur oder Moll?» nicht einmal sicher geklärt werden können. Bolton und Howarth versuchen in Zürich, möglichst nahe an Monteverdi zu bleiben und stellen eine eher sparsame Orchesterbesetzung auf: Zinken und Blockflöten neben den Streichern, dafür ist das Continuo, von drei Theorben auch optisch reizvoll angeführt, reich und farbig besetzt.
Sänger in grosser Form
Das ist auch eine freundlich-herausfordernde Einladung an die nicht weniger als 16 Solisten in 19 Partien, die sich denn auch nicht zweimal bitten liessen und mit viel rezitativischer Kompetenz die Freiheiten in der Sprachgestaltung auslebten. Ausser der Penelope von Sara Mingardo, die bei ihrem Zürcher Hausdebüt trotz differenzierter Deklamation etwas ausstrahlungsarm sang, liefen sie alle zu grossem Format auf. Kurt Streit sang mit viel Feingefühl und beeindruckenden stimmlichen Mitteln die Titelrolle, seine Tenorkollegen Werner Güra und Peter Mauro setzten sich aber nicht weniger eindrucksvoll in Szene. Wie schon in Händels «Alcina» bezauberte die junge Französin Julie Fuchs als Melanto. Ob Götter oder Freier, es blieben stimmlich und stilistisch kaum Wünsche offen. Selbst die Witzfigur Iro war bei Rudolf Schasching in bewährt-souveränen Händen.