Sigfried Schibli, Basler Zeitung (20.05.2014)
Willy Decker inszeniert, Robert Howarth dirigiert: Monteverdi am Opernhaus Zürich
Diese Konstellation hat schon manches Paar in Kriegszeiten erlebt: Der Mann kehrt nach jahrelanger Abwesenheit heim, und da ist alles anders. Unmöglich, einfach dort wieder anzufangen, wo man vorher aufgehört hat.
Claudio Monteverdi hat eine solche Situation 1640 in seiner Oper «Il Ritorno d’Ulisse in Patria» thematisiert. Dort kommt Ulisse (Odysseus) nach zwanzig Jahren nach Hause zurück – und niemand erkennt ihn. Seine Penelope hat zwar allen Verlockungen, ein neues Leben mit einem jungen Partner zu beginnen, widerstanden. Aber als ihr Mann als Bettler verkleidet zurückkommt, muss er erst diverse Prüfungen bestehen, bis sie in ihm den Partner erkennt und er wieder seinen Platz an ihrer Seite einnehmen kann.
Der Regisseur Willy Decker erzählt diese Oper nun am Zürcher Opernhaus mit aller wünschenswerten Klarheit und einer gehörigen Prise Humor. Menschen und Götter sind farblich klar unterschieden, und das permanente Saufgelage der Götter – herausragend Gianluca Buratto als Nettuno und Anna Stéphany als Minerva – sorgt für manche Slapstickeinlage.
Wolfgang Gussmann hat eine einfache Bühne mit einer grossen Drehscheibe à la Wieland Wagner gebaut, auf der sich dieses kleine Welttheater vorzüglich darstellen lässt. Wohltuend: keine Überfrachtung durch künstlich aufgemotzte Nebenhandlungen, keine Verrätselung durch kryptisch bleibende Bildideen, überall stringentes Erzählen und strenge Ästhetik.
Männerrollen, Frauenpartien
Penelope, verkörpert von Sara Mingardo, ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt eine Sonnenbrille, womit sie Jacqueline Kennedy nach dem Präsidentenmord ähnelt. Tatsächlich hält man die Titelfigur Ulisse, grandios verkörpert vom baritonal klingenden Tenor Kurt Streit, für tot und kann kaum glauben, dass er wiederkehrt. Wenn er es als Bettler verkleidet dennoch tut, dann vergisst er auch mal, dass er sich mit seinem zum Stock gewordenen Besenstiel gebückt bewegen soll.
Dies und das übereifrige Gebaren der Freier sind komische Momente in einer überwiegend ernsten Oper. Auch die der Penelope geltenden Aufheiterungsversuche, die an die Publikumsanimation in Ferienhotels erinnern, sowie der Zweikampf des gefrässigen Iro (Rudolf Schasching in einer glänzenden Charakterstudie) mit Ulisse und die Bogenprüfung sorgen für Heiterkeit.
16 Sängerinnen und Sänger bilden das Bühnenpersonal und formieren sich gegebenenfalls zum Chor. In der Zürcher Produktion gibt es herausragende Besetzungen wie die von Werner Güra für den ehemaligen Diener des Ulisse, Fabio Trümpy als Sohn Telemaco und Mauro Peter als Liebhaber von Penelopes Dienerin Melanto (Julie Fuchs). Generell sind die Männerpartien stärker als die Frauenpartien, auch Sara Mingardo ist mit ihrer etwas kleinen Stimme keine Idealbesetzung für Penelope.
Traumwandlerisch treffsicher
Im Graben spielt das Orchester La Scintilla klanglich intensiv und leuchtkräftig, allerdings nicht immer optimal mit der Bühne koordiniert. Anstelle des erkrankten Ivor Bolton leitet sein Assistent Robert Howarth die Aufführung, und er wechselt mit solcher Geschwindigkeit von der Rolle des Dirigenten zu der des Cembalisten, dass man sich über seine Treffsicherheit wundert.
So ist die Zürcher Aufführung nicht nur ein Beweis dafür, dass Barockopern zeitgemäss auf der Bühne funktionieren können, sondern auch ein Fest für die Ohren.