Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (23.09.2014)
Wagners «Lohengrin» im Opernhaus Zürich
Andreas Homoki inszeniert Wagners «Lohengrin» im Ambiente einer bayrischen Schenke. Dem befremdenden Regieansatz stehen hervorragende musikalische Leistungen gegenüber.
Fremd, entfernt und zeitlich entrückt ist die Handlung, die da vorgeführt wird. Wir befinden uns im Herzogtum Brabant im 10. Jahrhundert. Dort ist nach dem Tod des Herzogs der rechtmässige Nachfolger von seiner Schwester Elsa angeblich ermordet worden. So jedenfalls sieht es, angestiftet durch seine Gattin Ortrud, der Verweser Telramund. Da gerade der deutsche König Heinrich anwesend ist, um die Brabanter zum Kampf gegen die heranrückenden Ungarn zu motivieren, ordnet dieser ein Gottesgericht an. Doch wer will für Elsa kämpfen? Wir kennen die Geschichte natürlich: Es ist der Gralsritter Lohengrin, der sich der Menge, so Richard Wagners Vorstellung, in einem Kahn nähert, der von einem Schwan gezogen wird.
Befremdender Regieansatz
Opernregie ist die Kunst, eine zeitlich oder örtlich entlegene Handlung so zu übersetzen, dass sie ein Publikum von heute verstehen kann. Andreas Homoki, der «Lohengrin» am Opernhaus Zürich inszeniert, tut dies in einer befremdenden Art. Schon während der Ouvertüre reibt man sich die Augen: Auf einem Transparent prangt ein kitschiges Bild, auf dem zwei flammende Herzen zu sehen sind, die sich in einer Phantasielandschaft irgendwo zwischen Erde und Himmel bewegen. Darunter das dem Libretto entnommene verkürzte Motto «Es gibt ein Glück». Wo sind wir da? Wenn der Vorhang dann aufgeht, wissen wir es: Wir befinden uns in einer bayrischen Schenke.
Wolfgang Gussmann, der für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, lässt uns während fast vier Stunden in einen geschlossenen Raum blicken, der mit seinen dunkelbraunen Brettern wie eine Festung anmutet. Die Brabanter sehen aus wie echte Bayern, die Männer mit kurzen Lederhosen, grünen Jacken und Jägerhüten, die Frauen im Dirndl. Holztische und Stabellen suggerieren eine Kneipe. Und natürlich fehlen im dritten Akt auch die Bierkrüge nicht, wenn die grölenden Männer Lohengrin mit dem Ruf «Heil dem Helden von Brabant!» empfangen. Da ist unser Ritter unfreiwillig mitten ins Oktoberfest hineingeraten. Er selber, Lohengrin, kommt in Homokis Inszenierung aus einer ganz anderen Welt, einer imaginären Phantasiewelt. Er trägt keine Rüstung, sondern liegt, angetan nur mit einem weissen Nachthemd, plötzlich auf dem Boden der Kneipe. Er hat eine Vision, die aber niemand versteht. Schon gar nicht will er der militärische Anführer der Brabanter werden.
Die Crux der Inszenierung liegt unter anderem darin, dass es sich bei diesem «Lohengrin» um eine Koproduktion mit der Staatsoper Wien handelt, wo das Stück bereits im Frühjahr auf die Bühne kam. Wenn Homoki beabsichtigt hat, in Zürich Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen, dann müsste er die Brabanter mit Sennenkäppis und Schweizer Trachten ausrüsten. Aber mit wem soll man sich überhaupt identifizieren? Diese bornierte, rückständige, antimoderne – und in der genannten Trinkszene auch leicht faschistische – Gesellschaft wünscht sich doch niemand herbei.
Eine Frau am Pult
Doch zum Glück gibt es die Musik. Denn bei diesem «Lohengrin» zeigt sich wieder einmal mit aller Deutlichkeit, dass Oper nicht Theater mit Musik, sondern Theater durch Musik ist. Anders gesagt: Wagners Partitur ist einfach so genial gemacht, dass man auch bei einer missratenen Inszenierung in ihren Bann geschlagen wird. Zu verdanken ist die konkrete Wirkung in erster Linie Simone Young, mit der erstmals eine Frau am Pult der Philharmonia Zürich steht.
Die Wagner-Dirigentin, die unter anderem in Wien und in Berlin einen kompletten «Ring»-Zyklus dirigiert hat, versteht das Orchester durchaus als Triebkraft und Deuterin des Geschehens. Mit kräftigen Farben untermalt sie den Gesang, überdeckt ihn bisweilen, wenn die entscheidenden Motive im Orchester liegen. Das funktioniert alles bestens, nur die Tuba müsste sich etwas mehr zurücknehmen.
Durchwegs hervorragend besetzt ist das Ensemble auf der Bühne. Klaus Florian Vogt, der Star-Lohengrin unserer Tage, begeistert auch in Zürich. Der Verletzlichkeit seines Aussehens entspricht ein reiner, märchenhafter, jedenfalls ganz unheldischer Tenor. Dass er auf der Bühne trotzdem aussieht wie das Klischee des deutschen Helden schlechthin, ist nicht seine Schuld. Mit ihren geflochtenen blonden Haaren entspricht auch die Elsa der Elza van den Heever ganz dem Klischee des biederen deutschen Mädchens. Was die Sopranistin aber stimmlich und darstellerisch leistet, emanzipiert sich meilenweit von einer solchen Vorstellung.
Starke Eindrücke hinterlässt der Telramund von Martin Gantner. Seine dramatische Stimme ist das pure Gegenteil jener von Lohengrin, und er setzt sie virtuos ein, um die Zerrissenheit seines Charakters darzustellen. Einen extremen Kontrast zu Elsa bildet die Ortrud von Petra Lang, die, wiewohl in das Klischee von der keifenden Ehefrau gesteckt, stimmlich alle Register der Intrige zieht. Der junge Christof Fischesser realisiert die Autorität König Heinrichs überraschend gut. Last, but not least ist der erweiterte Chor der Oper Zürich zu erwähnen, der, von Homoki stets zu wirkungsvollen Gruppenbildern verdichtet, für die kräftig vorgetragenen äusseren Höhepunkte sorgt.