Tobias Gerosa, Basler Zeitung (23.09.2014)
Wagners «Lohengrin» wird am Zürcher Opernhaus in ein Tiroler Bergdorf verpflanzt
«Heil!» und «Für deutsches Land das deutsche Schwert»: Es ist nicht ohne, was die Männer von Brabant am Anfang des letzten Bildes von Richard Wagners «Lohengrin», begleitet von massivem Blecheinsatz, aus dem Graben und den vordersten Logen singen. In der Neuinszenierung, die Opernhausintendant Andreas Homoki letzte Saison an der Wiener Staatsoper herausbrachte und jetzt in Zürich mit neuer Besetzung einstudierte, knallen die Lederhosenträger dazu Bierhumpen auf grobe Holztische – zum Glück kommt dann rasch privatere Aktion ins Geschehen.
Homoki erzählt die Oper nicht aus der Perspektive des Mittelalters und der Fabel um den Ritter, der so lange Macht hat, bis bekannt wird, dass er vom heiligen Gral kommt. Er erzählt sie auch nicht aus der Perspektive von 1850, dem Jahr der Uraufführung. Dass er sie, den Kostümen von Wolfgang Gussmann nach, irgendwo um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spielen lässt, macht die politische Seite des Werks erst recht problematisch. Aber offensichtlich interessiert sich der Regisseur mehr für die Wunder und ihre privaten Auswirkungen. Fast so naiv wie der Vorhang mit seinen blutroten Herzen und dem Spruch «Es gibt ein Glück» wird die Geschichte erzählt.
Der Erlöser im Nachthemd
Als Elsa von Brabant von ihrem Vormund Telramund beschuldigt wird, ihren Bruder umgebracht zu haben, klammert sie sich an ihren Plastikschwan und steigert sich in eine Ekstase, die auf die Dorfgemeinschaft im hölzernen Bühnenkasten übergreift. Die Chöre des Opernhauses klingen kompakt und kraftvoll. Und plötzlich liegt da ein Mann, zitternd, im Nachthemd – der geheimnisvolle Erlöser, dessen Namen niemand wissen darf.
Warum ein Bergdorf? Was ist dieses Wunder? Wer und was die Erlösung oder der Gral? Wäre hier eine Gämse nicht der wahrscheinlichere Begleiter als ein Schwan? Antworten darauf bleiben aus, aber auf dieser Grundlage arbeitet Homoki exakt und mit einem Ensemble, das sich hören und sehen lässt. Mit Klaus Florian Vogt steht der Lohengrin unserer Tage auf der Bühne. Seine sehr helle Stimme ist zunächst gewöhnungsbedürftig. Wie er sie für feinste Piani einsetzt, wie er Linie und Textdeutlichkeit verbindet und heldisch zulangen kann, setzt aber Massstäbe.
Petra Langs fulminante Hexe Ortrud (die mit in die Dirndl-Hüfte gestützten Fäusten wie eine bärbeissige Schankwirtin wirkt) kommt ihm nahe, wie auch Martin Gantners Telramund. Sie alle verbindet eine Gesangstechnik, welche die Stimme weit vorne und hell klingen lässt. Auf hohem Niveau gemäkelt: Es ist schade, dass die eigentlich souveräne Elza van der Heever viel gedeckter singt und ihre Elsa stilistisch nicht ganz ins Ensemble passt.
Raum für die Musik
Simone Young tut sehr viel dafür, dass dies alles nicht allzu sehr ins Gewicht fällt. Young ist die erste Frau seit sehr Langem, die in Zürich eine Oper dirigiert. Sie gibt der Musik Raum, wo sie ihn braucht, agiert mit Drive, wo die Handlung vorwärtsgeht. Sie sucht den Klangzauber der Partitur und geht auch im Lauten in die Extreme. Bewundernswert ist, trotz ein paar Koordinationsproblemen, dass sie die Sänger nie zudeckt. So entwickelt die Aufführung vor allem musikalisch einen zunehmenden Sog bis zur Gänsehautpassage der Gralserzählung, die unendlich leise und in den Boden gesungen beginnt.
Zusammen mit der lohnenden Uraufführung der Kinderoper «Die Gänsemagd» von Iris Ter Schiphorst am Tag vor der «Lohengrin»-Premiere startet das Opernhaus Zürich somit gut in die neue Saison.