Lohengrin Hinterseer trifft Elsa Timoschenko

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (23.09.2014)

Lohengrin, 21.09.2014, Zürich

Andreas Homoki versetzt Wagners «Lohengrin» am Zürcher Opernhaus in ein bayerisches Dorf.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder in Brabant, das irgendwo im bayerischen Hinterland liegen muss. Zwischen Lederhosen und gestrickten Gamaschen liegt da plötzlich, Wunder Nummer eins, ein gottgesandter Fremder im Nachthemd. Und Elsa, die Reine, glaubt so sehr an das Wunder Nummer zwei, also an die über jeden Zweifel erhabene Liebe, dass sie diesen fremden Retter sofort heiraten will, obwohl sie ihn nicht nach seinem Namen und seiner Herkunft fragen darf.

Das Wunder Nummer drei, das Opernwunder nämlich, will sich dagegen nicht einstellen an diesem langen Abend. Und das liegt am Ort, den sich der Regisseur und Zürcher Opernintendant Andreas Homoki und sein Ausstatter Wolfgang Gussmann für Wagners «Lohengrin» ausgedacht haben. Zwar wäre die Idee, das Geschehen in ein abgelegenes Dorf zu verlegen, in dem es noch Wunderglauben, Aberglauben und intrigierende Wirtinnen gibt, ziemlich gut. Aber diese Männer in Lodenjacken, diese Frauen mit ihren Dirndln und den Julija-Timoschenko-Zöpfen, diese Landbeiz mit den deftigen braunen Bodenbrettern: Die nimmt man sofort als ­Parodie wahr. Umso mehr, als Klaus ­Florian Vogt als Lohengrin aussieht wie der Zwilling von Hansi Hinterseer.

Psychologie und Politik

Als Parodie ist die Inszenierung, die nach der Premiere laute Buhs erntete, aber nicht gedacht. Zwar ist Homoki dem präzis dosierten Klamauk nicht abgeneigt, etwa wenn er den Männerchor als übermotivierten Dorfchor auftreten lässt. Aber die Figuren nimmt er ernst: Lohengrin, der selber nicht ganz glücklich ist mit dem Frageverbot, das er Elsa im Auftrag des Grals auferlegen muss; Elsa, die nichts Falsches will und trotzdem alles kaputtmacht; und auch Friedrich von Telramund und Ortrud, die ­Bösen, die nicht grundlos böse sind. Sie will die Macht, so steht es bei Wagner. Und er will die Rache, weil Elsa ihn einst verschmäht hat: So denkt es sich ­Homoki, der hier nicht zum ersten Mal nach den psychologischen Hintergründen einer Oper sucht.

Also dekoriert er die Ouvertüre mit Szenen der Vorgeschichte – und zeigt damit, dass ihm das dralle und manchmal auch etwas simple Ausgestalten der Beziehungen wichtiger ist als die Musik. Denn wenn es eine Ouvertüre gibt, die man nicht bebildern (und erst recht nicht durch Gerumpel auf der Bühne stören) darf, dann ist es diese: Aus weit entrückten Sphären lässt Wagner hier seine Linien zusammenströmen, mit geschickten Überblendungen der Einsätze schafft er die Illusion eines körperlosen Klangs. Und wie er diese Musik dann zum Drama vor dem Drama steigert, wie er bereits hier die Figuren in Form ihrer Leitmotive aufeinander loslässt: Das lässt sich durch eine Inszenierung, selbst wenn sie keine Bergschuhe trüge, nur plattmachen.

Ein bisschen platt klangen denn auch die ersten Takte. Die Bläsereinsätze gerieten brüsk, nicht immer gingen die instrumentalen Farben nahtlos ineinander über. Aber die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Simone Young spielte sich rasch warm – und bot dann einen «Lohengrin», der auf ganz andere Weise deftig war als die Inszenierung. Zwischen den lyrischen, schwebenden Passagen setzte Young auf klangliche Spannung, auf sehnig ausgestaltete Rhythmik und ein ­wirkungssicheres Timing.

So erzählte das Orchester kein weltentrücktes Märchen, sondern eine Geschichte über Menschen und ihre Konflikte, die nicht nur psychologischer, sondern auch politischer Art sind. Denn auch das ist «Lohengrin»: eine Oper über einen gesellschaftlichen Umbruch, die durch ihre Rezeption noch zusätzliche Brisanz erhielt. Kaum zufällig war Hitler begeistert von diesem Stück, in dem König Heinrich die Brabanter zum Kampf für das deutsche Reich aufruft und ein gottgesandter Held zum ­«Streiter» für das Gute erkoren wird.

Gemütlich und gruselig

Die sehr teutonische Volkstümlichkeit von Homokis Inszenierung ist zweifellos auch vor diesem Hintergrund zu verstehen: Da wird eine Gesellschaft gezeigt, die sich gemütlich gibt und doch nur gruselig ist. Aber auch dieser Analyse steht die «Musikantenstadl»-Ästhetik im Weg, in die Tiefe reicht einmal mehr nur die Musik: in den von Jürg Hämmerli vorbereiteten Chören, die oft und sehr bewusst ins Martialische kippen. Und in den Solopartien, die gerade in ihrer ­Unvereinbarkeit überzeugen.

Am schönsten singt, wie es sich gehört, Lohengrin. Klaus Florian Vogt gehört zu den gefragtesten Darstellern dieser Partie, und sobald er den Mund öffnet, vergisst man Hansi Hinterseer. Sein heller Tenor klingt in den besten Momenten unendlich zärtlich (und abgesehen von der Kunstpause bei der Erzählung von der Taube bemerkenswert natürlich). Aber auch die monochrom metallische Färbung seiner lauten Töne passt zu einem Helden, der einem fremd bleibt. Selbst dass sich seine Stimme nicht mit den anderen mischt, ist hier kein Mangel, sondern tiefere Wahrheit.

Elsa dagegen klingt bei Elza van den Heever nicht nur rührend rein, sondern im Disput mit Lohengrin auch kokett, geradezu aufmüpfig. Nicht immer dringt ihr Sopran durch, von ihren Gegenspielern und ihrem Gatten wird sie ebenso in die Enge getrieben wie vom Orchester. Aber gerade dieses Orchester stärkt ihr auch jenes Rückgrat, das Simone Young der Elsa zuspricht (TA vom 19. September) – und das sie weit interessanter macht, als es das Klischee will.

Fast würde man ihr zutrauen, dass sie sich Ortrud widersetzen könnte. Aber Petra Lang sorgt mit weiträumig angepeilten Tönen, giftigem Timbre und verächtlichen Blicken dafür, dass das Mädchen keine Chance hat. Sie ist die Wirtin in diesem brabantisch-bayerischen Dorf, als Seherin sieht sie vor allem, wie sie alle anderen unter ihrer Fuchtel halten kann. Es reicht, dass sie ihre stämmigen Arme in die Seiten stemmt, und der gar nicht so unsympathische Telramund von Martin Gantner kuscht, das Publikum schaudert, Elsa verzweifelt, das Orchester setzt Achtel wie Messerstiche. Eine Parodie? Oh ja. Und damit die stimmigste Figur an diesem Abend.


Andreas Homoki unterwegs
Wien, Zürich, Hamburg

Eigentlich hat die Zürcher Opernsaison im vergangenen Frühling begonnen: Da zeigte Andreas Homoki seine Inszenierung des «Lohengrin» bereits in der Wiener Staatsoper (mit durchzogenem Erfolg). Ein Trick, um doppelt zu verdienen, wie gelegentlich gemutmasst wurde? Nein: Denn in Homokis Vertrag ist eine eigene Zürcher Inszenierung pro Saison inbegriffen, und die wird er im Februar 2015 mit Martinus «Juliette» liefern. Was dazukommt, wird getrennt verrechnet – ob es nun eine neue Arbeit oder eine Übernahme sei.

Dass Inszenierungen ausserhalb von Zürich wichtig seien für ihn (und auch für die Ausstrahlung des Zürcher Opernhauses): Das hat Homoki von Anfang an betont. Nach dem ersten Jahr, in dem er ein Auswärtsverbot hatte, nützt er denn auch die Möglichkeiten. Die nächste externe Produktion wird im November 2014 Verdis «Luisa Miller» in Hamburg sein, nach dem Zürcher «Lohengrin» eine weitere Zusammenarbeit mit der Dirigentin und Hamburger Intendantin Simone Young. Ansonsten stehen diverse Wiederaufnahmen an, die von Assistenten geprobt werden: «La traviata» in Duisburg, Leipzig und Düsseldorf sowie «Hänsel und Gretel» und «Die Fledermaus» in Berlin.