Überdüngte Kakteen

Manuel Brug, Die Welt (14.02.2006)

La finta giardiniera, 12.02.2006, Zürich

Nikolaus Harnoncourt und Tobias Moretti graben in Zürich Mozarts "Gärtnerin aus Liebe" aus.

Nikolaus Harnoncourt ist ein besonders charmanter Heuchler. Da tobt und wettert er gegen den Marketing-Mammon um Mozart, all den überflüssig tönenden Jubiläumskokolores und die Händler im Klassik-Tempel - und ist selbst an vorderster Klangfront dabei. So wie auch schon 1991. Was allerdings Sinn macht: Schließlich ist er der folgenreichste lebende Mozart-Dirigent. Nicht nur den "Idomeno" hat er zurück ins Repertoire geholt. Harnoncourt wirbt mit Anna Netrebko und Franz Welser-Möst auf dem offiziellen österreichischen "Happy Birthday, Amadeus!"-Plakat. Eben hat er seine gesammelten Mozart-Erkenntnisse in Buchform neu vorgelegt, ebenso sich der Jugendsinfonien angenommen - samt herzig Briefe lesendem Enkel.

Und live dirigiert Nikolaus der Große allein bis zum Sommer sechs Mozart-Bühnenwerke, von der "Nozze di Figaro" zur Eröffnung des neuen Salzburger Festspielhauses im Juli und dem "Titus" im August chronologisch rückwärts "Betulia liberata" und "Lucio Silla" bei den Wiener Festwochen, "Die Schuldigkeit des ersten Gebotes" bei der Luzerner Ostermusikwoche und nun eben in Zürich die erste Münchner Opernbestellung des 18jährigen Mozart "La finta giardiniera".

Auf CD hatte er sich die Gärtnerin aus Liebe schon blühend vorgenommen, auf der Bühne ist sie neu für ihn. Zudem will er szenisch nicht mehr so viel außerhalb Wiens machen: Nikolaus Harnoncourt ist schließlich 76. Schon bei den ersten Ouvertürentakt die einem besonders die Hörner des Zürcher Opernbarockorchester "La Scintilla" entgegenblöken, den scharfen Streicherlinien, den im Tempo gestauchten Begleitfiguren ist neuerlich klar: Hier geht es wieder einmal ums Mozart-Ganze, und das ist entschieden des Guten zuviel - für wenig genuinen, wirklich genialen Mozart. Zweieinhalb Arien, zwei davon im Wahnsinn verfangen, und ein (zu langes) Duett sprühen in der dramaturgisch verworrenen Geschichte um ein verloren gegangenes Liebespaar, garniert mit den üblichen komischen Betriebsunfällen, geniale Funken. Der Rest ist galante Meterware nach bewähren Formmustern der Zeit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Da war Mozart bei einer früheren Buffa, "La finta semplice" (1768) auf ein animierendes Carlo-Goldoni-Libretto, vor allem in der Individualität atmenden Mailänder Opera Seria "Lucio Silla" (1772) schon weiter. Ist der viele nach oben kehrende Jubiläumszauber verraucht, wird die "Gärtnerin" wieder eines der Mauerblümchen in Mozarts anderswo üppiger spießendem Opernpark bleiben. Wobei Nikolaus Harnoncourt mit seinem unbedingten, ein wenig verspannt dirigentischen Überdüngen die Schwächen des Stücks eigentlich noch betonte.

Die "Finta" hatte eben Doris Dörrie bei der Mozartwoche im quietschgrünen Gartencenter mit Gags zu Tode gewässert. In Zürich läßt sie Bühnenbildner Rolf Glittenberg in einem kahlweißen Innenhof vertrocknen. Über dem zweiten Stock wuchert üppig Palmen- und Benjamini-Urwald. Unten bei den Menschen, ist zwar Pflanztag, doch nur stachlige Sukkulenten und kahles Gesträuch sind im Angebot. Auch das regelmäßige Bestäuben mit der der Gardena-Spritzpistole zeigt wenig Wirkung: Die Witzwüste bleibt vorwiegend staubig.

Als inszenierender Hobbygärtner darf neuerlich ein Quereinsteiger ran. Der schon lang nicht mehr auf den Hund gekommene Tobias Moretti, der bisher nur eine wohl gelungenen Vorarlberger "Don Giovanni" in seiner Regievita führt, inszeniert aufgeklärte, aber doch in der mühsamen Abwicklung schweißtreibende Komödie, gern weit vorn und ohne begnadet grünen Daumen. Da wird in beton comedyschrillen Kostümen (Renate Martin, Andreas Donhauser) ziemlich chargiert, sind Kameras, in die Weichteile klatschende Prada-Taschen und sogar ein Kakteenrasierer im Dauereinsatz. Alles sehr symbolträchtig und dann - trotz der "Don Giovanni"-Gattungsbezeichnung dramma giocoso - allzu wohlgefällig sich auflösend.

Das solide Ensemble setzt zudem nicht wirklich zum Harnoncourt-Höhenflug an. Schlechtes Italienisch mißfällt besonders. Einzig die wie immer sopranistisch leicht übersäuerte Gärtnerin Eva Mei und der schon mozärtlichere Tenor-Tage verbucht habende Christoph Strehl als Otto-Kern-blondierter Graf tönen über das Mittelmaß hinaus. Da wird also dieses Jahr allein bei den 22 für Salzburg angedrohten Mozart-Bühnenwerken noch einiges Unausgereiftes aus dem Mozart-Gewächshaus auf uns zukommen.