Sigfried Schibli, Basler Zeitung (24.06.2014)
Giacomo Puccinis selten gespielte Oper «La Fanciulla del West» am Opernhaus Zürich
Selbst altgedienten Opernhasen kann es passieren, dass sie eine Puccini-Oper hören, die sie noch nie auf der Bühne gesehen haben: den 1910 uraufgeführten Dreiakter «La Fanciulla del West», übersetzt meist als «Das Mädchen aus dem Goldenen Westen». Noch seltener wird nur das operettenhafte Puccini-Werk «La Rondine» gespielt. Und es scheint sich auch in Zürich herumgesprochen zu haben, dass «La Fanciulla» keine «richtige» Puccini-Oper ist, dass man hier nicht in die herzerweichenden Arien und Duette von «La Bohème» oder «Tosca» eintauchen und sich bis zur Besinnungslosigkeit daran satthören kann. Am Premierenabend blieben einige Plätze im Opernhaus leer.
Dabei segelt dieses Werk ganz und gar auf der Höhe von Puccinis Kunst der Instrumentation und kann sich auf ein stimmiges, originelles Libretto stützen. Welche Oper spielt denn sonst schon im Goldgräbermilieu? Höchstens vielleicht die «Dreigroschenoper», mit welcher «La Fanciulla» eine gewisse motivische Ähnlichkeit hat, wobei Puccini der antikapitalistische Impetus von Bert Brecht und Kurt Weill gänzlich fremd war. Ihn faszinierte vielmehr das alte Thema der Liebe wider alle gesellschaftliche Logik und Vernunft. Die Barbesitzerin Minnie wird von allen Männern bewundert und von einigen begehrt, pocht aber auf ihre Selbstständigkeit und bleibt trotzig einsam.
Ohne Regietheater-Mätzchen
Den heftig um sie werbenden Sheriff Rance weist sie zurück, erst der Fremdling Dick Johnson bringt ihr Herz zum Schmelzen. Dass dieser Johnson in Wirklichkeit der polizeilich gesuchte Bandenführer Ramerrez ist, stört Minnie nur vorübergehend – am Ende hält sie ihm die Treue und rettet ihn vor den zu einem Lynchmord bereiten Goldgräbern.
Puccini hat einem etwas dialoglastigen ersten Akt zwei actionreiche Akte folgen lassen und ein Happy End gezimmert, das erstaunlich lyrisch daherkommt. Und der australische Regisseur Barrie Kosky – derzeit erfolgreicher Intendant der Komischen Oper Berlin, an der zuvor Zürichs Intendant Andreas Homoki wirkte – inszeniert das Stück im hyperrealistischen Bühnenbild von Rufus Didwiszus ungewohnt konventionell.
Ohne Rücksicht auf Schönheit
Wären da nicht ein von der Regie hinzuerfundener Banjospieler, der den Mangel an «Wildwest-Musik» in diesem Werk wettmachen soll, und die gegen den Strich gebürstete Figur der Wowkle, die ihr Kind nicht liebevoll in den Schlaf wiegt, sondern eine Puppe brutal zurichtet, und würde nicht immer wieder kräftiges Donnerrollen das drohende Unheil ankündigen – man müsste von einer geradezu extrem werktreuen Produktion sprechen. Da stimmt jedes Ausstattungsdetail und wird jede Nuance der Handlung strikt umgesetzt.
Minnie ist die unbestrittene Hauptperson, und die kalifornische Sopranistin Catherine Naglestad verleiht dieser Figur körperliche Wucht und stimmliche Präsenz. Vielleicht keine «schöne» Stimme im Sinne verführerischer Raffinesse, dafür aber eine beeindruckende Parforceleistung.
Mit glänzender Besetzung
Zoran Todorovich singt mit heldentenoraler Verve (und ohne Rücksicht auf die Intonation) den liebenden Verbrecher Dick Johnson, Scott Hendricks ist mit kräftig-rauem Bariton der um Gerechtigkeit bemühte Polizist Jack Rance. Die sonstigen, fast ausschliesslich männlichen Partien sind glänzend besetzt, auch der Männerchor und das Philharmonia Orchester singen und spielen furchtlos und engagiert.
Dem souverän steuernden Dirigenten Marco Armiliato wie dem gesamten Ensemble war der Premierenapplaus sicher. Die Chance, dass sich «La Fanciulla» im Repertoire halten kann, ist deutlich gestiegen.