Bruno Rauch, Neue Luzerner Zeitung (26.06.2014)
Puccinis «La fanciulla del West» sorgt im Opernhaus Zürich für einen starken Saisonschlusspunkt – mit kantigen Charakteren.
Schemenhafte Silhouetten bevölkern die dunkle Bühne. Darüber geistern grelle Lichtpunkte. Erst als sich die Szenerie allmählich erhellt, entpuppen sich die Konturen als Minenarbeiter und Goldsucher, zum Teil mit Stirnlampen ausgestattet, die sich um den Tresen der «Polka»-Bar drängen. Ein suggestives Bild, das sich Barrie Kosky (Regie) und Rufus Didwiszus (Bühnenbild) für die Festwochenpremiere der 1910 an der Met uraufgeführten Film-Oper «La fanciulla del West» von Giacomo Puccini (1858–1924) ausgedacht haben.
Rabauken und Lämmer
Vom ersten Moment an ist zu spüren, dass da ein hochmusikalischer Regisseur am Werk ist: Der von Jürg Hämmerli bestens vorbereitete Chor, verstärkt von einer Vielzahl Statisten, agiert in perfektem Timing zur Musik. Es entstehen Bilder, bewegte und statische, von monumentaler Schlagkraft, die dennoch immer wieder auch Individuen in dieser hartgesottenen Männergesellschaft aufscheinen lassen. Da gibt es Streithähne, Heimwehkranke, Hasardeure, Zocker, Säufer, Machos – kurz: eine testosterongeschwängerte Löwengrube. Doch alle werden sie zu sanften Lämmchen, als Minnie, die Barbesitzerin, auftritt. Da werden die harten Jungs zu Sonntagsschülern, die mit verklärt-verliebtem Blick an den Lippen ihrer «Lehrerin» hängen, die aus der Bibel vorliest – und zwar ausgerechnet eine Passage über die verzeihende Allmacht der Liebe.
Das schrammt bisweilen den schwer verdaulichen Cinémascope-Kitsch. Und das erreicht, trotz subtilen Klangmixturen und rauschhaften Ausbrüchen, nicht die dramatische Schlagkraft und psychologische Tiefenschärfe anderer Puccini-Opern.
Reduzierte Goldgräberromantik
Umso beachtlicher das Verdienst des Regieteams, dem vom Komponisten mitunter überdeutlichen Realismus nicht schrankenlos gefolgt zu sein, sondern mit naturalistischen Elementen, die sich stärker im natürlichen Spiel als im pittoresken Dekor manifestieren, sparsam umzugehen. Die Goldgräberromantik – das Stück spielt zur Zeit des kalifornischen Goldrausches um 1850 – wird zeichenhaft reduziert; Puccinis Musik ist diesbezüglich deutlich genug. Und die Philharmonia Zürich unter Marco Armiliato betont deren Leuchtkraft mal mit kantiger Kraft, mal mit der gebotenen Souplesse.
Ein dramatischer Höhepunkt ist die Pokerszene im 2. Akt, wo Minnie mit einem unlauteren Kartentrick den geliebten Banditen Ramerrez alias Johnson freispielt. Hier wird der deklamatorische Schlagabtausch zwischen Wirtin und Sheriff zum existenziellen Kampf auf Leben und Tod, ausgetragen über bedrohlich anschwellendem Ostinato.
Schauspielerische Hingabe
Diese Intensität verdankt sich der punktgenauen Personenregie ebenso wie der schauspielerischen Hingabe aller. Catherine Naglestad verkörpert eine Minnie, die keine Wünsche offen lässt: resolut, emotional, weich und kämpferisch zugleich – zudem mit warm leuchtendem, mühelosem Sopran ausgestattet.
Ihr Gegenspieler, der sie begehrende Sheriff Jack Rance, ist bei Scott Hendricks stimmlich und schauspielerisch in besten Händen: etwas vierschrötig, aufbrausend und letztlich doch nur ein erbärmlicher Kerl, der nicht begreifen kann, dass Frau ihm widerstehen kann. Weniger profiliert in dieser Dreiecksgeschichte zeigt sich Zoran Todorovich. Sein kraftvoller, aber monochromer Tenor neigt zum Überdruck; seine Figurenzeichnung lässt das Schillernde zwischen Verbrechertum und Edelmut vermissen. Zum gelungenen Resultat tragen auch die zahllosen sorgfältig besetzten und gut geführten Nebenrollen bei.