Oliver Schneider, DrehPunktKultur (23.09.2014)
Das Opernhaus Zürich startete mit Richard Wagners „Lohengrin“ in die neue Saison. Es ist jene eine Koproduktion mit der Wiener Staatsoper, die im April einen schweren Stand beim Publikum hatte.
Durch Bertrand de Billys Ankündigung, zumindest im Moment nicht mehr im Haus am Ring dirigieren zu wollen, wurde man wieder an den „neuen“ Wiener „Lohengrin“ erinnert (DrehPunktKultur 14. April). Bei der Premiere war dem Regieteam um Andreas Homoki ein unverhältnismäßiger Buhorkan entgegenbrandet. In Zürich ging es am Sonntag (21.9.) gesitteter zu. Buhs und Bravos hielten sich die Waage, aber man hat auch das Zürcher Publikum schon leidenschaftlicher erlebt. Ob es daran lag, dass Homoki in Zürich der Chef ist?
Zur Erinnerung: Das Regieteam hat die Handlung in ein Alpendorf an der Schwelle zum 20. Jahrhundert verlegt. In eine Dorfschenke mit Holzhüttencharme. Hier prallen Tradition – Ortrud und Telramund – und Neues aufeinander, obwohl alle gleich hübsch in Dirndln, Lederhosen und sonstigen Trachten gewandet sind. Ob der Premierentermin übrigens mit dem Oktoberfest abgestimmt ist, das auch in der Schweiz seine Ableger hat? Die Männer beim Frühschoppen, eine Probe vom Männergesangverein: Homoki bedient alle bayerischen und österreichischen Klischees - und dies stimmig. Ob es gefällt, bleibt die andere Frage, genau wie bei einem „Lohengrin“ in einem Schulzimmer oder im Laboratorium.
Gut ist und bleibt die genaue Personenführung. Homoki überlässt nichts dem Zufall. Ebenfalls im Grunde interessant ist, dass er die Vorgeschichte während des Vorspiels zum ersten Aufzug in zwei Bildern erzählt (auch wenn es eine Verdopplung vom Text ist). Stark ist das Vorspiel, in dem Elsa Telramund am Altar den Brautstrauß vor die Füße wirft und Ortrud ihn stattdessen aufhebt.
Nur warum, muss der Umbau zwischen den beiden Bildern so viel Lärm verursachen, dass man von den flirrenden Streichern im Vorspiel abgelenkt wird? In Wien effektvoller einstudiert war das Auftreten Lohengrins: Während Elsa ihren Spielzeugschwan in die Höhe reckt, bewegt sich das Volk kreisend im blauen Licht um sie, bis der Traum vom Retter aus der dörflichen Enge in Erfüllung geht und ein zusammengekauerter „Held“ auf dem Boden liegt und den Kopf in ihren Schoß bettet.
Besetzungsmäßig hat die Zürcher Premiere gegenüber der Wiener die Nase vorn. Nur die Titelpartie ist mit dem aktuellen Lohengrin vom Dienst, Klaus Florian Vogt, gleich besetzt. Er besticht wieder mit seinem strahlend weißen edlen Tenor. Die Elsa an seiner Seite ist die Südafrikanerin Elza van den Heever. Sie geht aus den traumatischen Ereignissen gestärkt hervor und nimmt die Machtinsignien zum Schluss selbst an sich, statt sie ihrem schwächlichen Brüderchen Gottfried zu übergeben. Stimmlich punktet sie mit sicher leuchtender runder Stimme. Christof Fischesser ist ein von der Regie hemdsärmelig gezeichneter Dorfältester Heinrich von sonorer Autorität. Michael Kraus singt den Heerrufer mit obligater Aktentasche, die allerdings nicht in die Handlungszeit passen will, sicher auf Linie.
Zum Bayreuther Lohengrin-Ensemble des Sommers gehörte neben Vogt auch Petra Lang, die wohl die Ortrud dieser Tage ist. Abgesehen davon, dass sie die böse Anhängerin der alten Ordnung mit der ganzen hochdramatischen Wucht ihrer Stimme gibt, beherrscht sie die Bühne in jedem Moment ihrer Präsenz. Wenn Telramund – Martin Gantner mit heldischer Kraft und hervorragend deklamierend – Elsa im ersten Aufzug des Brudermords klagt, ist es eigentlich Ortrud, die ihr Machtspiel treibt und sich dafür Telramunds bedient. Mit ihren Blicken führend, lässt sie Telramund für sich sprechen.
Zu öffnende Striche sind für Simone Young in Zürich kein Diskussionspunkt. Sie steht am Pult der ausgeruhten Philharmonia Zürich und lässt das Orchester recht durchsichtig moduliert und vor allem sehr sängerfreundlich spielen. Dadurch kommt die exzellente Diktion aller Protagonisten bestens zur Geltung; die Übertitel sind nur für einen kurzen Blick zwischendurch nötig. Intonationsrein erklingen die Trompeten aus der Proszeniumsloge. Insgesamt eine solide, gut einstudierte, musikalische Wiedergabe, von der man aber auch nicht mitgerissen wird. Bis auf einen zerfledderten Beginn der Herren am Premierenabend rundeten die von Jürg Hämmerli einstudierten Chöre den positiven Gesamteindruck der Premiere ab.