Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (19.09.2014)
Jacques Offenbachs «Les contes d’Hoffmann» am Theater Basel – szenisch spannend und musikalisch mitreissend
Es ist eine wunderbare und Jacques Offenbachs einzige Oper «Les contes d’Hoffmann» – Fragment von grossem Ausmass geblieben und in unterschiedlichen Fassungen überliefert. Die mit viel Raffinessen gebaute Musik ist von pulsierender Lebendigkeit, mal elegant, dann wieder rotzig. Sie ist sinnlich, manchmal frivol, ist rauschhaft und manchmalfällt sie ins trunkene Elend. Offenbach verstand es genial, romantisches Pathos aufzubauen, um es zugleich frech zu unterlaufen. Die Oper erzählt eine Künstlergeschichte. Vorlage ist der reale E.T.A. Hoffmann, Meister der Schwarzen Romantik. Er ist auf der Suche nach Rausch und grosser Liebe. Die drei Frauen – Hoffmanns Erzählungen entnommen – sind Projektionen. Auch die anderen Figuren sind Teil von ihm: die Muse und der Teufel in ihm. Hoffmann ist ein Orpheus, der seine Kunst auf den Leichen seiner Frauenbilder aufbaut, dabei am Leben und an der Liebe scheitert.
Nun spielt das Theater Basel dieses grandiose Werk zur Eröffnung der Opernsaison. Dirigent Enrico Delamboye und Regisseur Elmar Goerden wählen die fünfaktige Fassung und straffen die Oper mit einigen, gut gesetzten Strichen.
Goerden blickt von heute aus auf die Handlung und verlegt sie in das triste Niemandsland der Vorstädte. Das exzessive Ausleben von Liebes-, Lebens- und Künstlerfantasien hat in unserer cleanen Gesellschaft dort ihren Platz. Zugleich ist die von Silvia Merlo und Ulf Stengl konzipierte Bühne Bild des psychischen Raums einer heutigen Künstlerfigur, die sich in die dunkeln Welten Schwarzer Romantik stürzt. Sie bewegt sich längst an den Rändern des Daseins und somit in den verdrängten unbewussten Räumen unseres Seins. Und die Kunst selbst ist Abfallprodukt einer durchorganisierten Gesellschaft.
Figuren werden durchleuchtet
Die eigentliche Stärke von Goerdens Inszenierung liegt aber in der detailgenauen Arbeit an und mit den Figuren. Sowohl die Muse als auch die Verkörperung des Diabolischen werden aus Hoffmanns Fantasie geboren, das wird gut sichtbar. Die Sehnsucht nach dem exzessiven Lebensrausch abseits des geregelten Alltags tobt im stolpernden, suchenden Fantasten. Das rauschende Fest, das war einmal. Bei Goerden sitzt die Saufgesellschaft auf leeren Bierkisten – auch sie ist Projektion.
Die sich in Hoffmanns Freund Nicklausse verwandelnde Muse bleibt hier weibliche Figur. Gemeinsam mit dem Teufel, der Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dappertutto heisst, verdirbt sie Hoffmann das Lieben. Beide Figuren sind stark besetzt. Solenn’ Lavanant-Linke ist mit ihrem markanten, leichten Mezzosopran eine wendige, abgeklärte Muse. Genial verkörpert Simon Bailey mit agilem Bass-Bariton die teuflischen Figuren. Im Smoking – wie Hoffmann selbst – betreibt er als ein Mephistopheles kalt grinsend, virtuos und mit Fantasie sein Zerstörungswerk. Ein Mensch, wie wir ihn auf der Strasse antreffen: freundlich, eloquent, hinterhältig.
Tenor Rolf Romei ist ein sehr guter Hoffmann. Er singt mit feinem Schmelz und meistert die anspruchsvolle Partie gut, stösst nur selten an Grenzen. Er ist schwärmender Vorstadt-Wanderer, der in der – auch eigenen – Öde nach Lebendigkeit und grossen Gefühlen sucht, die er in Kunst bringen kann. Einer, der sich an den Rändern seines Ichs bewegt.
Im Olympia-Akt belebt seine Fantasie einen wohl längst geschlossenen Vorstadtladen. Spalanzani (stimmstarker Andreas Jaeggi) führt mit seinem Assistenten Cochenille (herrlich gespielt von Karl-Heinz Brandt) ihre Erfindung Olympia vor. Hoffmann verliebt sich in den seelen- und willenslosen Automaten, der elektronisch gesteuert hier auf einem rosa Pferd hockt. Agata Wilewska ist grossartig als Menschen-Maschine, brilliert mit halsbrecherischen Koloraturen. Jede ist genau gesetzt. Mit Schalk spielt sie das Roboterhafte der Figur. Die Szenerie mit ihren Anspielungen an E.T.A. Hoffmanns «der Sandmann» ist von abgründigem Witz.
Hoffmanns zweite Projektion ist Antonia, die Sängerin, der der Gesang und damit ihre Kunst den Tod bringt. Hier lebt sie in einer Vorstadt-Essbude und träumt vom geliebten Hoffmann und der grossen Karriere. Goerden zeigt sie als eine Art Amy Winehouse, die im Zwischenbereich von Leben und Tod das Grosse begehrt, dem Wahn verfällt. Vom Teufel mit Heroin versorgt – stirbt sie singend. Maya Boog verkörpert die Antonia mit ihrem warmen farbenreichen Sopran herzzerreissend.
Totentanz und Hoffmanns Fall
Der Giulietta-Akt mit der Kurtisanen-Gesellschaft in Venedig spielt bei Goerden auf einer Tankstelle, die als Metapher für die Geldwelt steht. Das Benzin steht aber auch für die innere Energie, die Hoffmann hier tanken will. Ihm gelingt es nicht einmal mehr, ein Feuer zu entzünden. So verkauft er für ein Stück vorgetäuschter Liebe von der Prostituierten Giulietta sein Spiegelbild. Statt sich sieht er im Spiegel seinen eigenen Dämon. Sounyoung Seo ist eine betörend singende Giulietta
Im Schlussakt sind Hoffmanns Kumpane Greise. Er überspielt in einem ausgelassenen Totentanz die Leichen, die er zurücklässt, und stürzt in sich zusammen. Zum starken Schlussbild passt perfekt die musikalische Apotheose als auftrumpfender Gestus der seelischen Leere.
Grossen Anteil an der packenden Erzählung der Oper haben auch Delamboye, das Sinfonieorchester Basel und der Theaterchor. Der Chor singt hervorragend, gestaltet lebendig und ausdrucksstark. Das Sinfonieorchester spielt transparent, mit Souplesse und akzentuiert prägnant. Delamboye lässt die Musik tanzen, dann hält er inne, spielt die Sehnsüchte aus, lässt sie ins Elend stürzen. Das berührt.