Todtraurige Komödie

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (22.09.2014)

Les Contes d'Hoffmann, 17.09.2014, Basel

«Les contes d'Hoffmann» am Theater Basel

E. T. A. Hoffmann war eine zerrissene Figur. Sein Leben prägte die Kluft zwischen bürgerlicher Existenz als Jurist und Künstlerdasein als Poet, Komponist und Maler. In seinen literarischen Werken stehen sich Normalität und Wahn, Realität und Phantasiewelt unversöhnlich gegenüber. Einer, der in Hoffmann einen Wesensverwandten sah, war der Komponist Jacques Offenbach. In Paris hatte dieser das Theaterstück «Les contes d'Hoffmann» von Michel Carré und Jules Barbier kennengelernt und liess sich dann von Barbier das Libretto für seine Oper schreiben.

Das Theater Basel hat «Les contes d'Hoffmann» in einer diskussionswürdigen Neuproduktion herausgebracht. Gegeben wird das unvollendet gebliebene Werk – der Komponist war kurz vor der Uraufführung gestorben – in der von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck besorgten Neufassung, die mit beliebten, aber nicht originalen Nummern wie dem Septett angereichert wird. In der Interpretation des Sinfonieorchesters Basel unter der Leitung von Enrico Delamboye erlebt das Publikum die Musik eines Komponisten, der sich von den Niederungen seiner Opere buffe befreien will und am Ende seines Lebens einmal eine ernste Oper schreiben möchte. Und hier beginnen die Probleme für Dirigent und Regisseur.

Mit der Wahl des Tenors Rolf Romei ist die Titelfigur mit einem liebenswerten, etwas naiven Sonnyboy besetzt, der wunderbar singt, dem aber die Zerrissenheit und die Not des Dichters Hoffmann fehlen. Dass er bei der Vergegenwärtigung seiner missglückten Liebeserlebnisse mit drei Frauen aus seinem früheren Leben wirklich leidet, nimmt man ihm kaum ab. Problematisch ist auch die Besetzung des Bösewichts, der nacheinander als Stadtrat Lindorf, als Erfinder Coppelius, als Doktor Mirakel und als Seelenjäger Dappertutto erscheint. Der Bassbariton Simon Bailey lässt stimmlich und schauspielerisch alles Diabolische vermissen und wirkt in seiner von der Regie verordneten Rolle als Alter Ego des Dichters zu harmlos. Eine strahlende Erscheinung mit einer hellen Stimme ist Solenn' Lavanant-Linke als Hoffmanns Muse. In ihrem Bestreben, den Dichter mit Avancen bei den anderen Frauen scheitern zu lassen, mischt sie sich in diversen Verkleidungen unter die Leute und zieht im Hintergrund ihre Fäden.

Der zunächst auf Komik zielende Ansatz des Regisseurs Elmar Goerden erreicht im zweiten Akt seinen Höhepunkt, was auch von der Musik unterstützt wird. Das Objekt von Hoffmanns Begierde ist hier die vom Erfinder Spalanzani konstruierte Puppe Olympia. Die Sopranistin Agata Wilewska, auf einem Spielzeugpferd sitzend, sieht mit ihrer grossen Brille aus wie das Dummerchen vom Dienst und singt ihre glasklaren Koloraturen mit solcher Herzlosigkeit, dass dem Dichter alle Lust vergeht. Nachdem der Regisseur das Pulver so früh verschossen hat, lavieren dann die folgenden Akte zwischen Komik, die aber nicht mehr diese Intensität erreicht, und Ernst, der aber immer wieder aufgebrochen und verfremdet wird. Die schwindsüchtige Sängerin Antonia, für deren Realisierung bei der zweiten Aufführung Evgenia Grekova für die erkrankte Maya Boog eingesprungen ist, verkörpert für Hoffmann die grosse romantische Liebe. Die Kurtisane Giulietta, von Sunyoung Seo als fremdgesteuerte Verführerin dargestellt, bringt ihm eine fast tödliche Bedrohung.

Zusammen mit Silvia Merlo und Ulf Stengl (Bühne) sowie Lydia Kirchleitner (Kostüme) zeigt Goerden «Les contes d'Hoffmann» als eine Wanderung des Dichters durch eine heutige städtische Welt. Sie führt von einer Abfalldeponie über eine Kunstgalerie, eine Imbissbude und eine Tankstelle zu einem trostlosen Park am Rande von Häuserblöcken. Was die Geschichte mit unserer Zeit zu tun hat, wird trotzdem nicht klar. Am Schluss kehrt der Dichter nicht, wie bei den meisten Aufführungen, wieder zum Anfang zurück. Nach einer Reise, die wohl viele Jahre gedauert hat, findet er im Park alle seine Gefährten und Geliebten wieder. Aber sie sind uralt geworden, sitzen im Rollstuhl oder schauen apathisch ins Leere. Wenn sie am Schluss in die Apotheose vom Sieg der Kunst über das Leben einstimmen, ist dies todtraurig.