Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (27.10.2014)
Ein bisschen Märchen, ein bisschen Zirkus und etwas Poesie: Donizettis «Don Pasquale» am Theater Basel
Der alte Mann spielt mit seinem Hund vor dem Stöckli, irgendwo in den Schweizer Bergen vor einer Postkartenlandschaft. Kaum ist der Hund weg, fühlt der Alte seine Einsamkeit und erträumt sich ein Leben mit einer jungen Schönen im Süden mit Sonne und Wärme – eine zweite Jugend. Massimo Rocchi, der bekannte Komiker, der am Theater Basel seine zweite Oper inszeniert, versetzt Gaetano Donizettis komödiantische Belcanto-Oper «Don Pasquale» in die Alpenlandschaft und baut dabei auf altbekannte Tourismus-Klischees einer landwirtschaftlichen Schweiz mit Chalets und Bergen.
Es ist die Postkartenschweiz, wie sie in der Hochkonjunktur der 1950er-Jahre zu Werbezwecken als Scheinmythos erfunden wurde. Rocchis Don Pasquale ist ein Kind dieser 1950er-Jahre, wie uns in einer witzigen Filmcollage (Sean Wirz) während der Ouvertüre vorgeführt wird. Zu Reichtum ist er gekommen – darauf deuten all die Ordner, die den unteren Stock des Stöcklis zieren. Auch die aufgereihten Ordner gehören zur Klischee-Schweiz, die Rocchi mehr liebevoll als boshaft karikiert.
Vor dem wohlhabenden Schweizer Berghaus gibt es einen Swimmingpool. Er hat kein Wasser, die Basel Sinfonietta sitzt drin. Dirigent Giuliano Betta ist der Badmeister. Eine schöne Metapher: Die Musik wird als der fliessende, mal tiefe, mal untiefe Urgrund gedeutet, aus dem die Figuren gleichsam geboren werden, aus dem heraus ihre Träume und Begehren entstehen.
Neue Jugend, die bald verpufft
Der reiche alte Don Pasquale gebiert seinen Traum von einer zweiten Jugend: Malatesta, bei Rocchi weniger Arzt als ein Hintertreppen-Mephisto, eine Mischung von Zauberer und Zirkusdirektor, soll ihm eine junge Braut verschaffen. Gemeinsam mit der mittellosen Norina – hier eine Bedienstete – und ihrem Geliebten, dem Neffen Ernesto, inszenieren sie eine boshafte Intrige – auch deshalb, weil Don Pasquale mit seiner Heirat Ernesto enterben will.
Rocchi entspinnt im direkten Kontakt zum Publikum eine virtuose, anspielungsreiche Commedia dell’Arte. Don Pasquale macht mit Perücke und Bermudas auf jung. Die Norina ist hier ein Girl der Handy-Generationen, das zu den Schönen und Reichen aufsteigen will. Nach der Scheinheirat wandelt sie sich in eine boshafte Zicke. Sie holt sich eine Truppe von Bediensteten – herrlich gespielt und gesungen vom Chor. Das ist humorvoll gezeichnet. Bewegungen und Gestik aber sind pure Italianità. Das ist ein Bruch zum Bild der Klischee-Schweiz. Der passt dann, wenn wir Rocchis Erzählung als Don Pasquales Traum lesen. Nicht nur der von Sean Wirz geschaffene Prospekt hinter dem Stöckli, auf dem plötzlich eine wohl süditalienische Landschaft erscheint, deutet darauf hin.
Im dritten Akt häufen sich die Gags. Manche entspringen jedoch der altbekannten Trickkiste. Die frappierenden witzigen Frechheiten, mit denen Rocchi in Haydns «Lo speziale», seiner ersten Oper, überraschte, die fehlen hier.
Dafür gelingen Rocchi die tragischen Momente, sie berühren. Als Ernesto noch glaubt, er müsse sich von Norina trennen, wird er in seiner Arie «Chercherò lontana terra» auf der Trompete von einem traurigen Fellini-Clown begleitet. Ernesto-Darsteller Noel Hernández singt hier herzergreifend.
Und Bass Andrew Murphy entfaltet als Don Pasquale dessen ganze Tragik. Als sein Jugend- und Liebestraum platzt, reisst er sich entsetzt die Perücke vom Kopf. Murphy singt das «È finito» aus der Tiefe der Verzweiflung. Meisterhaft schafft er die Gratwanderung zwischen Komik und Tragik. Ausdrucksstark, mit kernigem Bass singt er, mal ist er Buffone, mal traurige Gestalt.
Oper für die ganze Familie
Allgemein lebt die Aufführung vom ungemein spielfreudigen, vitalen Solisten-Quartett. Ginafranco Montresor ist mit seinem agilen Bariton ein herrlich hinterhältiger Malatesta. Deborah Leonetti zeichnet die Norina mit kraftvollem, strahlendem Sopran, sie mimt mal die Unschuldige, verspritz Gift und umgarnt mit ihren Reizen Ernesto. Die Liebesszene zum Schluss ist von märchenhafter Poesie. Hernández’ Tenor ist etwas schmal, dafür von leichter Höhe und virtuos geführt.
Giuliano Betta und die Basel Sinfonietta überraschen mit zupackendem Spiel. Sie artikulieren mit Prägnanz, entwickeln Drive und nehmen Donizetti jeglichen Schmalz. Die lyrischen Passagen erhalten eine Emotionalität abseits des Kitsches. Ein so zuspitzender Zugriff kommt im Basler «Don Pasquale» allein von der Musik. Dafür hat Rocchi mit seiner liebevollen Komik eine Oper für die ganze Familie geschaffen – und das Publikum begeistert.