Die Verführung aus dem Serail

Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (15.09.2014)

Die Entführung aus dem Serail, 13.09.2014, St. Gallen

Mit Mozarts Oper «Die Entführung aus dem Serail» eröffnete das Theater St. Gallen am Samstag die Spielzeit im Grossen Haus. Im orientalischen Gewand spielt die Regie mit der erotischen Anziehungskraft des Fremden.

Blonde, sichtlich erhitzt und derangiert nach einem spontanen Schäferstündchen mit Osmin, spricht leichthin aus, was ihre Herrin Konstanze sich schon die ganze Zeit nicht einzugestehen und zu fühlen wagt: «Vielleicht müssen wir mehr muselmännisch denken.» Das ist im zweiten Aufzug; die Damen sitzen bereits ein Weilchen als Sklavinnen auf dem Landsitz des Bassa Selim fest wie exotische Vögelchen in einem goldenen Käfig. Noch wissen sie nicht, dass Rettung in Gestalt Belmontes naht. Die eine wird darüber sehr pragmatisch, die andere bis zur Verzweiflung melancholisch.

So weit, so vertraut. Doch ein wenig an den Erwartungen rütteln will Regisseur Johannes Schmid durchaus in seiner auf den ersten Blick so klassischen, von Ausstatter Michael Kraus und Lichtgestalter Andreas Enzler in märchenhaft-maurisches Kolorit getauchten Inszenierung zum Saisonauftakt am Theater St. Gallen.

Frivol bis in die Spitzentöne

Also drehen und verschieben sich im Inneren des Serails die halbtransparenten Wände, kehren Projektionen und Traumspielszenen das Innere der Figuren nach aussen, lockt die Liebensart der «Muselmänner». Zumal, wenn sie, wie Bassa Selim (Michael Ransburg), gut aussehen, ihre sinnliche Leidenschaft mit edlem Denken verbinden und ihr Begehren mit hartnäckiger Inbrunst demonstrieren. Ist es Zufall, dass Konstanze in ihrer Auftrittsarie der Liebe zu Belmonte in der Vergangenheitsform nachtrauert? Offensichtlich jedenfalls ist, dass Blonde den mit Levente Páll jugendfrisch (statt «alt», wie es im Text heisst) besetzten Osmin wenig später handfest verführt und abschleppt. Alison Trainer geht ihre erste Ariette («Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln») mit derart frivolem Furor an, dass sie schon vor den eigentlichen Spitzentönen auf Höhenflug ist. Die aber sitzen dafür – und zwingen Osmin in die Knie. Martern aller Arten nimmt er mit Lust in Kauf. Und schaut dafür am Ende auch nicht so kläglich in die Röhre wie im Libretto vorgesehen.

Lustspiel und Schwermut

Levente Páll, neu im Opernensemble, garantiert gemeinsam mit Nik Kevin Koch (als wendiger, noch in Anflügen von Verzagtheit munterer Pedrillo), dass es nicht allzu schwermütig wird. Die komischen Züge und abgründigen Tiefen Osmins liegen Páll ebenso gut wie der aufbrausende Koloraturenzorn; Otto Tausk am Pult des Sinfonieorchesters St. Gallen serviert ihm die richtigen Farben und Tempi.

Überhaupt zeichnet sich diese «Entführung» abgesehen von ein paar wackligen Stellen im Eifer des Gefechts durch einen guten Draht zwischen Bühne und Orchestergraben aus, womit die Regie augenzwinkernd spielt: etwa, wenn Pedrillo für seine Romanze im dritten Aufzug eine Geige aus dem Orchester gereicht bekommt oder in einem Moment grösster Betretenheit «Musik!» in den Graben ruft. Zuweilen geht aber dieser enge Kontakt auch auf Kosten der Personenführung.

Frisch von der Rampe weg

Nicht nur in den Szenen, die im relativ schmalen Korridor vor den Toren des Serail spielen, wird ausgiebig an der Rampe gesungen – was allenfalls Roman Payer zugute kommt: So kann er den Belmonte ohne Forcieren zart und lyrisch gestalten und die virtuosen Ansprüche seiner Partie mit einnehmender Leichtigkeit erfüllen. Es hilft ihm allerdings keineswegs dabei, der ohnehin nicht ganz so lebensprallen Rolle des Edelmanns mehr Konturen zu verleihen.

Strahlkraft selbst auf Distanz besitzt Jennifer O'Loughlin in der unter Sopranistinnen gefürchteten Partie der Konstanze. Egal wo sie gerade steht, liegt oder sitzt: Sie leidet ausdrucksstark und mit vokaler Mühelosigkeit – allerdings auch überwiegend auf gleichbleibender Lautstärke. Das Zittern und Wanken, das Zagen und Schwanken, von dem Belmonte in seiner schönsten Arie mit klopfendem Herzen singt, ist ihr weniger anzuhören denn anzusehen: besonders, wenn sie den Blicken Selims ausweichen muss. Das Premierenpublikum liess sich davon nicht irritieren und applaudierte am Ende von Herzen. Wenn auch nicht ganz von Sinnen.