Unerbittlich rotiert die Drehbühne

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (04.11.2014)

The Turn of the Screw, 02.11.2014, Zürich

Die Neuproduktion der Oper «The Turn of the Screw» von Benjamin Britten am Zürcher Opernhaus besticht durch eine bildkräftige Präzision, vor allem aber sorgen Sänger und Musiker für eine Sternstunde.

Nichts ist dunkel, alles klar, hell, weiss, viereckig, geordnet. Wie das Übersinnliche in die schnörkel lose Architektur dieses britischen Landsitzes, der ausser ein paar Schuluniform-Zitaten gar nichts Britisches mehr hat, einziehen kann, bleibt ein Rätsel. Und doch sind sie da, die Geister, nicht so klar erkennbar, nicht besonders auffällig, vor allem nicht für alle sichtbar. Wir sind nicht in einer Geisterbahn. Der unerwartete Schattenwurf – natürlich hoch präzis inszeniert – ist schon das höchste der Gefühle an Gänsehaut-Grusel, den man von Spukschloss-Romantik und Gothik-Tales erwarten könnte. Nein, der Horror liegt hier tiefer, die Mechanismen sind komplexer, sicher ist nur, dass sich die rotierende Dreh bühne in unerbittlicher Langsamkeit dem finalen Turn nähert.

Schon Henry James, höchst erfolgreicher Autor, liess in seiner gleich namigen Novelle von 1898 fast alles offen in dieser psychologisch aufgeladenen Schauergeschichte: Eine junge Gouvernante soll zwei Waisenkinder betreuen, die mit einer Haushälterin zusammen auf einem Landgut leben. Ihre Vorgängerin und ein ehemaliger Diener, beide unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen, spuken im Haus, und es entspannt sich ein existenzieller Wettkampf um das Seelenheil der beiden Kinder.

Spannung und erotisches Verlangen

Am Ende ist der Knabe tot. Alles andere bleibt im Dunkeln: Wer sind die Geister, wer sieht sie, spuken sie nur in der Einbildung der Gouvernante oder sind sie real auf die Kinder wirkende Erscheinungen? Der Regisseur Jan Essinger, der diese Produktion nach einem Konzept von Willy Decker übernommen hatte, nachdem Decker kurz nach Probenbeginn erkrankt war, ist zwar sehr präzis in seiner Personenführung, aber durchaus knapp und sparsam im Erfinden von Interpretationen. Das ist für einmal eine grosse Stärke: Vieles wird angedeutet, fast alles ist mit Spannung, auch erotischem Verlangen aufgeladen, nichts wird allzu konkret, nichts erklärt, nichts demonstriert oder gedeutet. Wie der Knabe stirbt, war schon zu damaligen Zeiten Gegenstand heftiger Erörterungen, und Benjamin Britten und seine Librettistin Myfanwy Piper waren klug genug, nicht eine Interpretation zu liefern, sondern den Stoff in seiner ganzen schillernden Mehrdeutigkeit, im Gestrüpp psychoanalytischer Verdrängungs-, Verführungs- und Beherrschungsmechanismen auf die Opernbühne zu bringen.

Ovationen des Premierenpublikums

Dabei zeigte sich Britten 1954 als unglaublich geschickter Handwerker. Bloss 13 Musiker verlangt die Kammeroper, aber was sie an Klangfarben, Emotionen und Stimmungen zaubern, ist sensationell. Zu Recht wurden die Solisten des Zürcher Opernorchesters Philharmonia und der souveräne deutsche Dirigent Constantin Trinks an der Premiere am Sonntag ausgiebig und laustark gefeiert.

Und auch die Solisten verdienten sich Meriten. Die beiden Kinderrollen sind von Britten tatsächlich für Kinderstimmen vorgesehen. Sie sind nicht einfach zu besetzen, aber in Zürich ist es dank Brittens Können und Trinks dynamischer Aufmerksamkeit gelungen, die 14-jährigen Stimmen von James Dillon und Emma Warner überzeugend über die Rampe zu bringen.