Gespenstische Begegnungen

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (04.11.2014)

The Turn of the Screw, 02.11.2014, Zürich

Ein grossartiges Stück, vielschichtig packend umgesetzt: Benjamin Brittens Oper «The Turn of the Screw» am Opernhaus Zürich hat alle Qualitäten eines Psychothrillers.

Hier ein Blick, dort eine Hand im Gegenlicht oder ein stummer Auftritt, dort eine Drehung der Bühne, damit nicht alle Figuren alle sehen: Die Inszenierung von Benjamin Brittens Oper «The Turn of the Screw» von 1954 im Zürcher Opernhaus arbeitet mit kleinen Gesten. Unspektakulär treffen da ein Mann und eine Dame vor schwarzem Vorhang aufeinander. Es sind der gespenstische Peter Quint und die namenlose Gouvernante, die als Erzieherin für die zwei Kinder Flora und Miles angestellt wird.

Der Regisseur wird krank

Schon hier entsteht zwischen den beiden Figuren, die sich eigentlich gar nicht sehen, eine latente erotische Spannung. Sie wird sich durchziehen, dem Subtext des Librettos und der Musik sehr genau entsprechend, bis die Bedrohung sie immer mehr in den Hintergrund drängt.

Dieses Konzept, das nur in sehr genauer handwerklicher Durchführung funktioniert, stammt vom Regisseur Willy Decker. Er musste krankheitshalber bei Beginn der Proben absagen. Jan Essinger, Spielleiter des Opernhauses, der als Deckers Assistent vorgesehen war, übernahm die Regie. Wie stark er noch eigene Ideen einbringen konnte, ist von aussen nicht zu beurteilen.

Unübersehbar aber funktioniert die Inszenierung. Der scheinbare Realismus wird unterlaufen, seltsame Bilder tauchen auf – die Schraube wird angezogen, wie der Titel sagt. Auch die Bühne dreht konstant und verhindert so eine klare Sicht. Dabei ist Wolfgang Gussmanns Bühne geheimnislos schlicht wie nur denkbar: Auf einem Sockel ein grosser Rahmen und ein Portal, darin ein paar Möbel.

Tote und Lebende

Die Gouvernante trifft zwei aufgeweckte Kinder, die sich immer seltsamer verhalten. Ihre verunfallte Vorgängerin Miss Jessel beeinflusst Flora und will sie zu sich holen, der ebenfalls tote Peter Quint will Miles: Bei Pavol Breslik balanciert dieser «Geist» auf messerscharfer Kante von Verführung und Bedrohung – die beste Partie des Ensemblemitglieds bisher, dank ganz sicherer Technik, schönen Koloraturen und viel Süsse in der Stimme.

Was die beiden vorhaben, darüber gibt es nur Andeutungen: Missbrauch wird angedeutet, eine psychologische Abhängigkeit der Kinder, aber auch eine Wahnvorstellung der Gouvernante. So rein Layla Claire sie singt, so spannend vermag sie diese Ambivalenz zu spielen. Das Bedrohliche wirkt verführerisch, die Verführung gefährlich.

Das ist in der Vorlage von Henry James schon so, Brittens Musik verstärkt den Eindruck zusätzlich. Es sind nur 13 Instrumentalisten im Graben, alle immer wieder solistisch im Einsatz, das zwingt dazu, noch mehr auf sich und die Sänger zu hören.

Viele Plätze blieben leer

Dirigent Constantin Trinks sorgt für eine grosse Bandbreite in der Dynamik und dosiert sehr genau, wo die Musik psychologisch kommentiert, untermalt oder vorwärts treibt. Schade nur, dass bei der Premiere viele Plätze frei blieben.