Illusionsloser Liebeszauber

Daniel Allenbach, Der Bund (30.09.2014)

Armide, 28.09.2014, Bern

Der Wunsch nach Ehre und Ruhm prägt die erste Musiktheaterinszenierung von Konzert Theater Bern: Christoph Willibald Glucks «Armide» bezirzt mit schönen Klängen, offenbart aber auch die szenischen Brüche der Vorlage.

«Make love, not war», war das Motto der Hippiebewegung in den 1960er-Jahren, die unter anderem angesichts des Vietnam-Kriegs den Krieg abschaffen wollte und stattdessen die freie Liebe propagierte. Christoph Willibald Ritter von Gluck – wie er mit vollem Namen heisst – wusste davon im achtzehnten Jahrhundert noch nichts. Doch seine Handlung zur Oper «Armide», die in der Zeit der Kreuzzüge spielt und auf dem Drama von Philippe Quinault nach Torquato Tassos Versepos «Gerusalemme liberata» basiert, setzt ebenfalls auf den Gegen­satz zwischen bewaffnetem Kampf und leidenschaftlichem Gefühl. Allerdings gerät die Liebe dabei fast zum grösseren Gemetzel als der Krieg.

In der Berner Inszenierung von Anna-Sophie Mahler (siehe «Kleinen Bund» vom 27. 9.) beginnt die Handlung mit ­einer Mischung aus Friedenskonferenz und UNO-Ball. Mit Orden behängte Militär­chefs, japanische Delegierte im Kimono, saudische Prinzen und nicht zuletzt westliche Politiker – man meint Silvio Berlusconi zu erkennen – treffen sich in einem schicken Landhaus irgendwo in südlichen Breiten (Bühne: Duri Bischoff). Die mächtige Armide (Miriam Clark) hat geladen, fühlt sich aber vor den Kopf gestossen, als sie zum Machterhalt einen schwächlichen Jungspund (Wolfgang Resch) ehelichen soll. Wenn überhaupt, wünscht sie sich einen Mann, der Kampfesmut bewiesen hat.

Es ist schliesslich ausgerechnet der von ihr verzauberte Feind Renaud (And­ries Cloete), in den sie sich verliebt – und von dem sie am Ende verlassen wird, weil er sich lieber dem Ruhm und der Ehre des Kampfes widmen will, als an der Seite einer Frau sesshaft zu werden. Eine illusionslose Geschichte von der so gar nicht nur zauberhaften Liebe also, die genauso im mitteleuropäischen Alltag spielen könnte, von Mahler aber nach der Vorlage im Umfeld von Partisanenkämpfen, wohl im Nahen Osten, verortet wird.

Mal stark, mal verletzlich

In der Titelrolle gibt Miriam Clark eine selbstbewusste und kraftvolle Herrscherin, die stimmlich sensibel auch die weichen und verletzlichen Seiten ihrer Figur auslotet und damit nach ihren Berner Auftritten als Leonore und Violetta erneut begeistert. Obwohl sie das Scheitern ihrer Liebe von Anfang an voraus­ahnt und sich noch dagegen abzu­sichern versucht, vermag sie sich nicht ­gegen ihre Gefühle zu wehren und geht sehenden Auges und pochenden Herzens in ihr persönliches Unglück.

Für den Herzschlag der Produktion ist dabei das Berner Symphonieorchester zuständig. In Glucks Musik, die noch stark vom Barock beeinflusst ist, aber bereits weit darüber hinausweist – nicht zu Unrecht gilt Gluck als wichtigster Opernreformer jener Zeit, der allzu hochtrabende durch schlichte, natürliche Emotionen ersetzte –, scheinen ständig neue Gefühlsschattierungen auf.

Chefdirigent Mario Venzago geht mit dem Orchester an klangliche Grenzen, wobei sich das Risiko trotz kleinerer Patzer auszahlt und das Ergebnis auch gewisse allzu manierierte Schlussnoten verzeihen lässt. Lebendig, kompakt und gleichzeitig dezent strömen wunderbare Klänge aus dem Graben und tragen die hervorragenden Protagonisten auf der Bühne. So ist es namentlich ein Vergnügen, Camille Butcher und Yun-Jeong Lee zuzuhören, die als Armides Assistentinnen unter anderem für Gästeempfang und Coiffuredienste zuständig sind. Doch auch der Rest des Ensembles gefällt, darunter Andries Cloete als zunächst liebender und nach seiner Verwandlung in einen vermeintlich zivilisierten Menschen so schnöde sich aus dem Staub ­machender Renaud.

Sprunghafte Szenenfolge

Diese sehr plötzlichen Wandlungen der einzelnen Personen und die sprunghafte Handlung insgesamt sind allerdings der Haken der Oper, der von der Inszenierung nur bedingt gemeistert wird. ­Obwohl Anna-Sophie Mahler Sinn für Handwerk beweist und etwa mit dem Schaulaufen des Chors (Einstudierung Zsolt Czetner) während der Ouvertüre kleine Kabinettstückchen hinzaubert, plätschert Glucks Szenenfolge über weite Strecken etwas vor sich hin. Paradebeispiel dafür ist der wenig zur Handlung beitragende vierte Akt, in dem Nuno Dias und Robin Adams von einem Trugbild ihrer Geliebten (Sophie Rennert) entwaffnet werden. Mahler gelingt es nicht, diese Szene wirklich zu integrieren, und auch einzelne Gefühls­umschwünge der übrigen Protagonisten bleiben weitgehend unbegründet und rätselhaft.

Durchaus schlüssig und präzise herausgearbeitet sind dagegen gewisse Einzelbilder, wovon ganz besonders die düstere Szene heraussticht, in der ­Armide zur Abwehr gegen ihre aufkeimende Liebe deren Gegenteil beschwört. Wenn dann Claude Eichenberger als personifizierter Hass mit gleissendem Mezzosopran, lodernder weisser Mähne und in goldbräunlich schimmerndem Hosenanzug (Kostüme: Nic Tillein) auftritt und Armide anweist, ihre Gefühle und damit ihre Vergangenheit dem Feuer zu überantworten, ist dies ungemein packend. Und wenn Miriam Clark darob ins Zweifeln gerät, den Hass ob dieser grausamen Bedingung fahren lässt und sich trotz trüber Aussichten auf die Liebe einlässt, dann vermag darin Gluck an diesem Abend wahrhaft zu verzaubern – auch wenn das Ende allen Illusionen auf ein gemein­sames Glück den Riegel schiebt und ­Armide allein und verlassen zurückbleibt, weil die Sucht nach Ehre und Ruhm stärker war als die Liebe.