Dramatisches Feuer wird hier entfacht

Alfred Ziltener, Mittelland-Zeitung (30.09.2014)

Armide, 28.09.2014, Bern

Anna-Sophie Mahler, Regisseurin von Capri Connection, hat in Bern Glucks Oper «Armide» inszeniert

Mit einem vehementen Plädoyer für den 1714, also vor genau 300 Jahren, geborenen, notorisch unterschätzten Christoph Willibald Gluck begann das Konzert Theater Bern die Opernsaison. Mario Venzago, Chefdirigent des Berner Symphonieorchesters, dirigierte Glucks kaum bekannte Oper «Armide»; Anna-Sophie Mahler, die Regisseurin der Basler Theatergruppe Capri Connection, die mit dem Baselbieter Kulturpreis 2014 geehrt wurde, inszenierte die Oper.

Venzago gelang eine mitreissende Ehrenrettung des für viele als Langweiler geltenden Opernreformers. Er trieb die Musik leidenschaftlich voran, füllte sie mit Spannung und entfachte in den Höhepunkten dramatisches Feuer. So wurde hörbar, wie sehr diese 1777 in Paris uraufgeführte Oper, in der noch die Melodik Jean-Philippe Rameaus nachklingt, bereits auf Ludwig van Beethoven vorausweist.

Venzago hat die Partitur um Continuo und Blechbläser erweitert, die in der Partitur fehlen, in der damaligen Pariser Oper aber zum Einsatz gekommen sein müssen, und reizte den Farbenreichtum dieses Instrumentariums als Ausdrucksmittel klug aus. Das Orchester, mit historischem Blech und Barockbögen, spielte engagiert und prachtvoll klingend.

Liebe zum Freischärler

«Armide» erzählt, ausgehend von Torquato Tassos Kreuzfahrer-Epos «Gerusalemme Liberata», von der unglücklichen Liebe der heidnischen Magierin Armide zum Kreuzritter Renaud. Dieser erliegt zwar ihrem Zauber, wird aber von Abgesandten des christlichen Heers zurückgeholt.

Anne-Sophie Mahler, die hierzulande mit den Musiktheater-Produktionen ihrer Gruppe «Capri Connection» bekannt geworden ist, siedelt die Geschichte im heutigen Afrika an. Ihre Armide ist Königin eines nicht näher definierten Staats und verliebt sich in einen Freischärler aus einem verfeindeten Nachbarland.

Diese Setzung ist nicht zwingend, aber Anne-Sophie Mahler erzählt stringent, oft mit feinem Witz, und schafft mit den Sängern plausible Figuren. Die Choristen, Mitglieder einer internationalen High Society, sind anders als bei Gluck stets auf der Bühne und führen vor, wie in unserer Welt selbst das Privateste öffentlich wird.

Residenz in der Savanne

Der Bühnenbildner Duri Bischoff hat Armide eine Residenz mit grob gemauerten weissen Wänden geschaffen. Die Drehbühne gibt Einblick in unterschiedliche Räume. Hinter der Glasfront deuten Kakteen eine Savannen-Landschaft an. Nic Tilleins Kostüme charakterisieren die Figuren zusätzlich.

Auf der Bühne steht ein insgesamt ausgezeichnet singendes, darstellerisch überzeugendes Ensemble. Miriam Clark als Armide prunkt mit kraftvollem, dennoch agilem, kostbar timbriertem Sopran, den sie aber, vor allem im Piano-Bereich, differenzierter einsetzen könnte.

Tenor Andries Cloete bewältigt die sehr hoch gelegene Partie des Renaud schlank und leicht. Die Mezzosopranistin Claude Eichenberger als Dämon des Hass’ schiesst Spitzentöne ab wie Giftpfeile, Yun-Jeong Lee bezauberte als Sidonie mit traumhaft schönem, leuchtendem Sopran.

Das Publikum der Premiere bejubelte neben den Solisten vor allem den Dirigenten und das Orchester.