Miriam Clark begeistert bei Glucks «Armide» in Bern

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (07.10.2014)

Armide, 28.09.2014, Bern

Zwei Musiker prägten die Neuproduktion von Christoph Willibald Glucks Oper «Armide» am Berner Theater: der Dirigent Mario Venzago und die Sopranistin Miriam Clark in der Titelrolle. Ein fulminanter Beitrag zum Gluck-Jahr 2014.

Die deutsch-amerikanische Sopranistin Miriam Clark sorgte in Bern schon als Violetta in Verdis «Traviata» und als Leonore in Beethovens «Fidelio» für Begeisterung. Auch als Armide bleibt sie den hochgesteckten Erwartungen nichts schuldig, zeigt eine fulminante Gestaltung dieser an Anforderungen nun wirklich nicht armen Partie. Sie meistert alles, gestaltet souverän aus den Pianoregionen, hat stimmlich Kern und Kraft in den Ausbrüchen, die nie ins Angestrengte oder Schrille abgleiten.

Reformoper mit barocken Elementen

Auch Gluck zog 1777 alle Register, als er die Chance erhielt, das «Armide»-Libretto von Philippe Quinault, das einst Lully als Grundlage für seine Version diente, neu zu vertonen und auf die Bühne zu bringen. Noch viele barocke Elemente, etwa in den schnellen Figurationen der Orchesterbegleitungen, sind zu hören, auch die Schlussvorhalte erinnern an Rameau. Andererseits bestätigte Gluck dezidiert seinen Reformkurs, den er 1774 mit der Bearbeitung seines «Orfeo» auch in Paris vorstellen konnte, und damit prompt einen Richtungskrieg unter den Opernfreunden provozierte: Gluck versus Piccinni, Reformoper gegen italienische Virtuosenkultur.

Reizvoll wirken die anmutig durch solistische Instrumente begleiteten Arien, abwechslungsreich die Abfolge rezitativischer und arioser Passagen, die das starre Schema der barocken Opera seria mit ihrer typischen Da-capo-Arie aufbrechen. Und in der Instrumentierung nutzte Gluck das Potenzial der Pariser Oper nach Kräften aus.

Souveräne Leistung Venzagos

Das ist jedenfalls die leidenschaftlich vertretene Meinung von Mario Venzago am Pult des sehr engagiert und klanglich wach aufspielenden Berner Sinfonieorchesters. Zahlreiche Eingriffe hat er in der Partitur vorgenommen, liess zum Beispiel Posaunen-Stimmen nachkomponieren, wie es Gluck für seine Pariser Fassung des «Orfeo» auch getan hatte.

Darüber lässt sich natürlich streiten, nicht aber über Venzagos temperamentvolle, stets souveräne Leitung von Orchester und Solisten. Klanglich präsentieren sich nicht nur die ergänzten Stimmen sehr reizvoll, lebendig wirken nicht nur die Tempi an sich, auch in der Binnengestaltung zeigt Venzago wache Beweglichkeit. Und er beweist in dieser selten gespielten Gluck-Oper auch einen untrüglichen Sinn für die Dramatik und die sich ständig steigernden emotionalen Wechselbäder vor allem für die bedauernswerte Protagonistin Armide.

Die Aktualisierung bringt wenig

Anna-Sophie Mahler, in der Schweiz vor allem als Schauspielregisseurin mit ihrem Ensemble Capri Connec tion bekannt geworden, hat in ihrer deutschen Heimat schon viele Opern inszeniert, zuletzt Janaceks «Makropoulos» in Bremen. Als Assistentin war sie unter anderem mit Marthaler und Schlingensief unterwegs, und diese Schule ist auch in der Berner «Armide» sichtbar, die sie vom Kreuzfahrer-Epos in einen Konflikt zwischen Zivilisation und Natur umdeutet.

Allerdings wirkt das wenig schlüssig. So sehen wir doch wieder Kreuzzug, nur umgekehrt: Grimmige Islam-Terroristen mit Kalaschnikows, Bärten und Gesichtsmasken überfallen Armides Multikulti-Villa. Die zauberhafte Verführung der Krieger endet nicht beim Abluchsen von Waffen und Uniformen, sondern gipfelt im Abrasieren des Bartes. Die Aktualisierung des Stoffs bringt nicht wirklich viel Wesentliches ans Tageslicht, insbesondere geht Armide in ihrem Yuppie-Ambiente jegliche magische Aura ab. Die Inszenierung ist aber zwischendurch unterhaltsam, geprägt von sorgfältig ausgestalteten Details, wenn auch manche Arie ganz traditionell in der Bühnenmitte gesungen wird.

Neben Miriam Clark überzeugt im Berner Ensemble vor allem Claude Eichenberger im kurzen, prägnant und furios gestalteten Auftritt von «La Haine» (der Hass). Hörbar an den Grenzen seines Tenors singt Andries Cloete die männliche Hauptrolle Renaud, während Armides Begleiterinnen Camille Butcher und Yun-Jeong Lee mit intakten schönen Sopranstimmen nicht nur bei den raffiniert verführten Kriegern für Freude sorgen.