Eine nüchterne Horrorstory

Verena Naegele, Basler Zeitung (05.11.2014)

The Turn of the Screw, 02.11.2014, Zürich

«The Turn of the Screw» von Benjamin Britten am Opernhaus Zürich

Die Erzählung von Henry James ist so berühmt wie skurril: Das Schicksal der jungen Gouvernante, die auf einem abgelegenen Landsitz die Erziehung zweier Waisenkinder übernimmt und bald realisiert, dass sie in eine Welt voller Rätsel und spukhafter Vorgänge geraten ist, hat schon so manchen Filme­macher inspiriert. James lässt offen, was Realität, was Fiktion ist – ein gefundenes Fressen auch für eine musikalische Umsetzung.

Benjamin Britten nutzt das von My­fanwy Piper mit einer Fülle von gruseligen Situationen und hysterischen Seelenzuständen gespickte Libretto zu einem wahren musikalischen Feuerwerk. Er paart grandiose Tonmalerei mit strenger Form zu einem knapp zweistündigen Werk, das mehr einem Hörspiel denn einer Oper gleicht. Mit ausgefallenen Instrumenten wie Celesta oder dem üppigen Schlagwerk zeichnet er das Geschehen.

In zwei Akte mit jeweils acht Szenen ist das Stück gebaut, die dazwischengeschobenen Intermezzi oder – wie Britten sie nennt – Variationen, leiten höchst atmosphärisch von Situation zu Situation und verleihen jeder Szene einen unverwechselbaren Ton. Das Orchester aus nur 13 Instrumentalisten präsentiert sich in Zürich mit dem Dirigenten Constantin Trinks auf höchstem Niveau.

Kalt und grell ausgeleuchtet

Der junge Regisseur Jan Essinger, der die Inszenierung vom erkrankten Willy Decker übernommen hat, musste ein vorgegebenes Konzept umsetzen. Die kahle Bühne Wolfgang Gussmanns besteht aus drei ungleich langen, ­­aneinanderstossenden Wänden, der Hülle des Landhauses, meist kalt und grell ausgeleuchtet, die auf der un­­aufhörlich bewegten Drehbühne installiert sind.

In diesem Ambiente sind die Figuren der psychologisch aufgeladenen Story gnadenlos ausgestellt, die Kinder Miles und Flora, Mrs. Grose, die Gouvernante und die beiden Schatten­figuren Peter Quint und Miss Jessel. Ge­­kleidet in strenge Kostüme der 1950er-Jahre, führt Regisseur Essinger sehr genau, jede Geste, jeder Gang ist in die Musik einpasst, nimmt diese auf oder setzt sich von dieser ab.

Eine faszinierende Choreografie, die ihren Höhepunkt im «Sextett» der achten Szene findet und die insbesondere den Kindern den notwendigen Rückhalt vermittelt. Die 14-jährige Emma Warner als Flora gestaltet die Göre mit dem Rossschwanz auch sängerisch sehr abgeklärt, während der ein Jahr jüngere James Dillon als Miles szenisch etwas steif und sängerisch blass bleibt. Aber beide jugendlichen Protagonisten meistern die Aufgabe auf der grossen Bühne eines international renommierten Opernhauses mit verblüffender Souveränität.

Mit Inbrunst gesungen

Wenn das Konzept trotzdem nicht ganz aufgeht, dann ist dies der fehlenden Entwicklung geschuldet. Alles dreht sich im Kreis und verflacht zunehmend. Wirkt das erste Erscheinen des phänomenal singenden Peter Quint (Pavol Brezlik) im Zauberklang von Celesta, Holzbläsern und Harfe noch aufregend spannend, so bleibt die immer stärkere psychische Vereinnahmung von Miles eher marginal spürbar.

Der Knabe bleibt genauso bieder-brav wie seine Gouvernante, von Layla Claire in der stets gleich kahl bleibenden Szene mit Inbrunst gesungen. Ein grandioses Charakterporträt liefert dafür Hedwig Fassbender, einst am Theater Basel gross geworden, als keifende, leicht überkandidelte Mrs. Grose, die auch unschöne, sich fast überschlagende Töne nicht scheut.

Was bei dieser interpretatorisch Sinn macht, geht bei Giselle Allen als Miss Jessel an die Grenzen, sie forciert zuweilen, bringt aber eine transzendente Gruseligkeit mit, die sonst fehlt. Choreografisch klug gestaltet ist die Heimsuchung der Gouvernante durch die achtfach auftretende Miss Jessel, aus dem Orchestergraben wunderbar untermalt durch das jammernde Fagott. Sind die kontinuierlich sich steigernden Heimsuchungen durch Quint und Miss Jessel blosse Hirngespinste? In Zürich muss das jeder selber entscheiden.