Oliver Schneider, DrehPunktKultur (04.11.2014)
Constantin Trinks am Pult und Regisseur Jan Eβinger gelingt eine szenisch schlüssige und musikalische geschlossene Wiedergabe von Brittens achter Oper. Erzählt wird das traumatische Erlebnis einer Gouvernante, die auf einem abgelegenen englischen Landsitz die Erziehung zweier Waisenkinder, Flora und Miles, übernimmt.
Das Opernhaus Zürich hat sich verändert. Nicht, dass die großen Namen plötzlich von den Besetzungszetteln verschwunden wären. Diese gehören in der Liga dazu, in der Zürich auch unter Andreas Homokis Leitung spielt. Aber er und seine Operndirektorin Sophie de Lint vertrauen ebenso regelmäßig auf junge interessante Künstlerinnen und Künstler und haben damit dem Haus eine neue Note aufgedrückt. Und sie setzen auf Werke, um die man in der vorherigen Intendanz einen Bogen gemacht hat
Ein gutes Beispiel dafür ist Brittens „Das Drehen der Schraube“. Die Premiere fand am Sonntag fast genau sechzig Jahre nach der Uraufführung statt. Leider blieben etliche Plätze leer. Ob manche Daheimgebliebene Brittens Musik in die falsche Schublade stecken, weil das Grundthema die zwölf chromatischen Töne in Quarten und Terzen durchschreitet?
Erzählt wird das traumatische Erlebnis einer Gouvernante, die auf einem abgelegenen englischen Landsitz die Erziehung zweier Waisenkinder, Flora und Miles, übernimmt. Komisch ist schon, dass sie den Onkel der Kinder, ihren Auftraggeber, bei Problemen nicht kontaktieren darf. Und diese treten rasch auf, denn auf dem Landsitz geistern der tote Diener Peter Quint, und die frühere Gouvernante Miss Jessel (rollendeckend Giselle Allen) umher. Vor allem Quint spielt eine entscheidende Rolle, weil er eine enge Beziehung zum jungen Miles hatte und immer noch hat. Doch die Geister erscheinen nur der Gouvernante. Ist sie verrückt?
Regisseur Jan Eβinger, der kurzfristig für den erkrankten Willy Decker eingesprungen ist und auf dessen Konzept aufgebaut hat, erzählt die Geschichte mit einer distanzierten Kühle, dass einem immer wieder ein Schauer über den Rücken läuft. Wolfgang Gussmann hat dafür eine Drehbühne mit zwei Räumen geschaffen, für die ihm Edward Hoppers Raumbilder Pate standen: ein modernes Landhaus mit Terrasse. Aber es sind vor allem die Farben sowie das Licht (Franck Evin), die das Wechseln zwischen der Realität und der der Fantasiewelt der namenlosen Gouvernante ermöglichen. Helligkeit hier und fahles Licht sowie dunkel gewandete Protagonisten dort.
Dass in dem Haus etwas nicht stimmt, wird der Gouvernante schnell klar. Die Haushälterin Mrs. Gose rät ihr, dem Vormund zu schreiben. Aber eigentlich möchte die Gouvernante dem gut aussehenden Onkel keinen Kummer bereiten. An Miles findet sie von Anfang Gefallen, widmet sie ihm doch beim Kennenlernen deutlich mehr Aufmerksamkeit als seiner Schwester. Die Gouvernante muss aber nicht nur gegen ihre eigenen unterdrückten Wünsche und Gefühle ankämpfen, sondern auch gegen den immer noch vorhandenen (homoerotischen) Einfluss von Peter Quint auf Miles. Eβinger nutzt als deutliches Bild eine Badeszene: Nachdem die Kinder die Badewanne verlassen haben und von der umsorgenden Mrs. Gose große Badetücher erhalten haben, steigt zuletzt Quint aus dem Bad.
Letztlich verlieren die Gouvernante und Quint den Kampf um das Kind. Ob die Gouvernante damit ihren eigenen inneren Kampf beendet hat, lässt das auf Henry James gleichnamiger Novelle beruhende Werk offen, der Regisseur auch.
Constantin Trinks leitet mit „The Turn of the Screw“ seine erste Neuproduktion am Opernhaus Zürich und weiß das gesamte facettenreiche Bild von Brittens Musik zum Ausdruck zu bringen. Mal wirkt sie warm, dann wieder verführerisch oder Angst einflößend. Die in Kammerbesetzung spielende Philharmonia Zürich (Streich- und Bläserquintett, Klavier/Celesta, Harfe und Schlagzeug) begleitet die Protagonisten in bester Verfassung und nutzt „ihre Bühne“ in den Zwischenspielen. Constantin Trinks ist übrigens in naher Zukunft auch vermehrt in Österreich zu erleben: Er dirigiert das Silvesterkonzert im Theater an der Wien sowie im September 2015 eine Neuproduktion von Heinrich Marschners „Hans Heiling“. Anfang Dezember dirigiert er außerdem ein Orchesterkonzert des Grazer Philharmonischen Orchesters.
Ebenso souverän wie das Orchester zeigt sich das Ensemble. Layla Claires Rollendebüt als Gouvernante bleibt in Erinnerung, was auch für Pavol Bresliks Peter Quint gilt. Wie Peter Pears in der Vergangenheit, gestaltet Breslik auch den Erzähler im Prolog. Sowohl Claire als auch Breslik besitzen die idealen Stimmen für die Partien. Die bieder wirkende, aber lebenserfahrene Mrs. Gose ist die makellos singende Hedwig Fassbender, die damit zu einem späten Zürich-Debüt kommt. Für die Partien der beiden Kinder arbeitet das Opernhaus Zürich mit jungen Künstlerinnen und Künstlern aus London und Belfast zusammen. In der Premiere sangen James Dillon und Emma Warner, wobei vor allem die letztere stimmlich aufhorchen ließ.