Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (26.11.2014)
Mozarts «Zauberflöte» im Stadttheater Bern
So viel Schwarz-Weiss-Malerei kennt man sonst nur aus James-Bond-Filmen: Hier das Reich der Finsternis, wo die Königin der Nacht ihre Intrigen spinnt, dort der Tempel von Sarastro und seinen Priestern. Gezeigt wird der Kampf zwischen Bös und Gut, Nacht und Tag, Frau und Mann. Am Schluss gewinnen das Gute, der Tag und der Mann, so jedenfalls bei Mozart und seinem Librettisten Schikaneder. Die «Zauberflöte» wird denn auch gerne als Mozarts Vermächtnis, als Inbegriff seines Humanismus angesehen.
Mit solchem Ballast kann der Regisseur Nigel Lowery, der auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, nichts anfangen. In seiner Inszenierung im Stadttheater Bern unternimmt er alles, um das Reich Sarastros zu diskreditieren. Sarastro selber ist ein langbärtiger Greis, der kaum gehen kann, aber doch alle Macht hat. Soll man ihn nun bemitleiden oder fürchten? Immerhin ist er der Boss eines grossen Warenhauses namens «S». Wenn Kai Wegner mit seinem profunden Bass in der berühmten Arie «In diesen heil'gen Hallen» seine Humanitätsideale verkündet, glaubt ihm jedenfalls niemand.
Die ganze Handlung spielt sich – dies ist eine originelle Idee des Regisseurs – in diesem Warenhaus ab. Der vordere Teil der Bühne fungiert als Aufzug, die einzelnen Stockwerke werden mit bemalten Leinwänden charakterisiert. Die drei Damen arbeiten und singen als Verkäuferinnen in der Parfümerieabteilung, Papageno kommt in der Lebensmittelabteilung zu seinen Freuden, die Feuer- und die Wasserprüfung für Tamino und Pamina finden in der Elektro- und Waschmaschinen-Abteilung statt. Verfremdung und Ironisierung überall.
Auch die Königin der Nacht, die in den Keller des Warenhauses verbannt ist, erscheint nicht als ungebrochener Charakter. Bei ihrem ersten Auftritt steckt sie in einer überlebensgrossen Maske, die ihre Identität verhüllt. Dass sie ihre Auftrittsarie durch Stoff hindurch singen muss, zeugt allerdings nicht vom musikalischen Denken des Regisseurs. Yun-Jeong Lee ist indes nicht eine charismatische Königin der Nacht; ihre Rache-Arie singt sie korrekt, aber reichlich mechanisch.
Wenn es Nigel Lowery also nicht um den Konflikt zwischen Gut und Böse geht, was bleibt dann übrig? Das Loblied auf die Liebe vielleicht. Doch auch dieses wird durch etliche Verfremdungen entstellt. Wenn Tamino zur Arie «Dies Bildnis ist bezaubernd schön» ansetzt, steht er vor einer nackten Schaufensterpuppe. Der Dialog, in dem Pamina von Papageno erfährt, dass Tamino angekommen ist, um sie zu retten, wird gestrichen. Stattdessen kommt an dieser Stelle eine Putzfrau zum Zug, die den Dialog in indirekter Rede zusammenfasst.
Der Tamino von Julien Behr, als sympathischer Pfadfinder ausgestattet, entspricht stimmlich durchaus den Erwartungen an diese Rolle. Über einen strahlenden Sopran und einen emotionalen Charakter verfügt die Pamina von Camille Butcher. Ein ideales Liebespaar könnten sie sein, die beiden, wäre da nicht die Schlussszene, in der sie sich den Thron streitig machen. Einen schönen Kontrast zum hohen Paar bilden Papageno und Papagena. Robin Adams demonstriert sein komödiantisches Potenzial und punktet mit seinem ansprechenden Bariton. Und die Papagena von Oriane Pons, die nicht zuerst als altes Weib auftreten muss, erfreut mit ihrer zur Schau gestellten Naivität. Bleibt noch der Monostatos von Andries Cloete, der seine Macht als Geschäftsführer des Warenhauses auch stimmlich durchtrieben einsetzt.
Musikalisch liegt die Produktion in den Händen von Thomas Blunt, seit dieser Saison Erster Kapellmeister bei Konzert Theater Bern. An der Premiere dirigiert der Engländer mit Correctness und Understatement und vermag es nicht, der Musik seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Da läuft dann alles ab, wie man es kennt, präzise zwar, aber nicht besonders aufregend. Fazit: Diese «Zauberflöte» ist vordergründig unterhaltsam, weil sie mit vielen Überraschungen aufwartet. Was der Regisseur aber letztlich damit sagen möchte, bleibt unklar.