Maria Künzli, Berner Zeitung (26.11.2014)
Wenn der Kobold durch die «Zauberflöte» fegt: Der englische Regisseur Nigel Lowery inszeniert die Oper von Wolfgang Amadeus Mozart schwungvoll und witzig – mit einer Königin der Nacht, die dem Unsingbaren Leichtigkeit abgewinnt.
Da steht er nun. Mitten in der Parfümabteilung eines edlen Warenhauses. Eben hat ihn ein Mann im Schlangenkostüm angegriffen, nun – fast noch schlimmer – wird er von drei wuschigen Parfümdamen umgarnt. Tamino (Julien Behr) ist jung, bald verliebt (in Pamina) und wirkt in seiner Pfadikluft alles andere als souverän. Er passt in diesen zauberhaften Konsum- und Beautytempel wie Karl Lagerfeld auf eine Baustelle. Ja, diese «Zauberflöte», inszeniert von Nigel Lowery, spielt sich in einem Warenhaus ab. Oben im Dach regiert Sarastro, unten im Keller haust die Königin der Nacht inmitten von Instrumenten. Dazwischen liegen neun Stockwerke, verbunden mit einem Lift. Das Liftinnere ist der Zuschauerraum, eine grosse gelbe Lifttür fungiert als Vorhang.
Weise und Mächtige
Damit sich Tamino seiner Jünglingskluft entledigen und zum Mann werden kann, muss er einige Prüfungen bestehen – und Pamina retten. Erst vermeintlich vor Sarastro, dann vor ihrer Mutter, der Königin der Nacht. Denn Gut und Böse, Ohnmacht und Macht sind nah beieinander, besonders hier, bei Nigel Lowery, im Warenhaus der Weisen und Mächtigen.
Der Engländer gilt als listiger Kobold der Regieszene. 1998 empörte er Eltern und Lehrkräfte in der Oper «Hänsel und Gretel» von Engelbert Humperdinck mit einer Kannibalismusszene. Auch andernorts erregte er die Gemüter immer wieder mit irrwitzigen Einfällen und eigenen Interpretationen. Die «Zauberflöte» ist Lowerys längst überfälliges Bern-Debüt. Dabei zeichnet er nicht nur für die Regie, sondern auch für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich. Die «heiligen Hallen» des Sarastro kanzelt Nigel also frech zum Einkaufszentrum «S» ab. Überhaupt ist dieser Sarastro (Kai Wegner) ein wenig angeschlagen: Er geht schwankend am Stock, muss hie und da gestützt werden und trägt eine Greisenmaske mit langem weissen Bart. Dieser tattrige Alte soll ein ganzes Reich regieren, für Weisheit und Vernunft stehen? Der Schmach nicht genug, schickt sich am Ende fast noch eine Frau an, das Männerreich Sarastros zu regieren: Pamina (Camille Butcher) deutet in der Schlussszene an, sich auf den Thron setzen zu wollen, lässt dann aber doch Tamino den Vortritt. Solche hübschen Details sind es, die diese Inszenierung zu einem intelligenten Vergnügen machen. Als würde ein kleiner Wicht durch das Stück fegen und alle Figuren ein bisschen foppen – und ihnen kleine interpretatorische Drehungen verpassen. So trägt die Königin der Nacht (Yun-Jeong Lee) in ihrer ersten Szene eine riesige Maske mit schockgefrorener Miene auf den Schultern, die Rat gebenden Jünglinge werden von mit Puppen spielenden Mädchen dargestellt, der Erzähler ist eine Heinrich Heine zitierende Hausmeisterin (Eva Hosemann) und Papagena (Oriane Pons) schwebt in güldenem Kostüm durch den Bühnenraum. Erst alleine, dann gemeinsam mit ihrem liebenswürdigen, aber begriffsstutzigen Gegenstück Papageno – sicher gesungen, aber etwas zu sehr auf Klamauk gespielt von Robin Adams.
Verblüffende Leichtigkeit
Dass diese Produktion so rund daherkommt, liegt nicht nur an Nigel Lowery, sondern auch am Gesangsensemble, das mit ungewohnt häufigem Zwischenapplaus gefeiert wurde. Zum Beispiel Yun-Jeong Lee, die den fast unsingbaren Partien der Königin der Nacht mit ihrem wunderschön kalttonigen Sopran eine verblüffende Leichtigkeit abringt, selbst in höchsten Lagen souverän bleibt – und damit ihren «Kontrahenten» Kai Wegner (Sarastro) etwas blass wirken lässt. Camille Butcher ist eine stimmlich beeindruckend agile und warme Pamina, und Julien Behr gestaltet seine Rolle des Tamino mit Sicherheit und Eleganz. Neben Lowery feierte auch Dirigent Thomas Blunt als neuer Kappellmeister sein Bern-Debüt. Das Berner Symphonieorchester legte mit ihm einen sicheren Auftritt hin. Schwungvoll, präzise, aber oft auch sehr brav. Als möchte das Orchester nicht gleichberechtigt an der Produktion mittönen, sondern möglichst nicht stören.