Das entsorgte Zauberspiel

Herbert Büttiker, Der Landbote (26.11.2014)

Die Zauberflöte, 23.11.2014, Bern

Wo steckt eigentlich der Zauber? Mozarts letzte Oper hat ein geheimnisvoll bewegtes Bühnenleben wie keine andere. Auch diese Saison, so in Bern, Zürich, Winterthur.

Das Publikum hatte an Papageno wieder seine helle Freude. Im Theater Bern war Premiere einer Neuinszenierung von Mozarts «Zauberflöte». Bejubelt wurden die Sängerinnen und Sänger, und sie alle hatten eben die «Unsterblichen» anständig bis bravourös gemeistert, von den berühmtesten Spitzentönen der Opernwelt, mit denen sich die Königin der Nacht spektakulär in Szene setzt, bis ins tiefste Register von Sarastros «Heiligen Hallen».

Alle Figuren haben ihre emblematische Musik, Arien, Duette, die ins Erz des Opernrepertoires gegossen sind, aber kann man das nicht von anderen Werken auch behaupten? Das Kaleidoskop genialer Musik ist wohl doch nur der eine Grund der magischen Anziehungskraft der «Zauberflöte», nicht weniger geheimnisvoll ist die Geschichte, die da erzählt wird beziehungsweise sich in ­jeder Aufführung wieder wie ein Ritual abspielt.

Drei Damen von der Parfümerieabteilung

Das Publikum ist gefangen, die Interpreten suchen nach dem Schlüssel des Geheimnisses. Oder ist die Handlung schlicht brüchig, wie lange vermutet wurde, ist die Oper nicht mehr als ein revueartiges Patchwork, wie auch gesagt wird? Dagegen halten ernsthafte Regisseure, die an die ebenso dankbare wie schwierige Aufgabe glauben, im märchenhaften Reiz von Tempelanlage, Riesenschlange, Feuer- und Wasserproben die tiefere Botschaft der «Zauberflöte» zu erproben – und kommen damit nicht zu Ende.

In Bern setzt Nigel Lowery am Schluss ein Zeichen, die wie ein Selbstkommentar zur Situation des Regisseurs ist. Seine Bühne ist ein Kaufhaus mit Keller, neun Stockwerken und Direktionsetage, in Comic-Manier gemalt und darum auch ein Puppenhaus. Darin die drei Damen von der Parfümerieabteilung, ein Clochard, der sich in den Konsumtempel verirrt, ein braver Boy in Pfadfinderuniform, der vor einem Dino aus der Spielzeugabteilung erschrickt und dann perplex vor einer nackten Schaufensterpuppe steht und zu singen anhebt.

Später trifft er dann auf eine sehr gefühlsinnige Version aus Fleisch und Blut, und der folgt die Frage der Karriere auf dem Fuss. Der Chef von «Sarastros» ist ­altersschwach. Ein Nachfolger muss her, die Herren in Gehrock und Zylinder pflücken sich den Pfadfinder und machen sich mit ihm ans Assessment. Tamino macht das Rennen und setzt sich auf den Direktorensessel, Pamina steht dekorativ neben ihm.

Der gemeinsame Gang durch Feuer und Wasser

Mit der resoluten Hausmeisterin ergänzt Regisseur Nigel Lowery die personalreiche Oper um eine weitere Hauptfigur. Sie ist Erzählerin, tritt anstelle Sarastros in Aktion und kommentiert mit Ironie das Geschehen dem Publikum gegenüber, und am Schluss räumt sie auf: Zauberflöte und Glockenspiel werden in Müllsäcken verstaut.

Soll endlich Schluss sein mit der ewigen «Zauberflöte»? Verdient, was aus heutiger Sicht ihre Botschaft ausmacht – dass nämlich Paminas und Taminos gemeinsamer Gang durch Feuer und Wasser den alten Kampf der Geschlechter überwindet und in Sarastros Reich eine neue Sonne aufgeht –, verdient das ein ironisches Abwinken?

Lowerys Statement wäre wohl missverstanden, würde man es als böse bezeichnen, denn es steht ausser Frage, dass die Oper hier mit Lust inszeniert worden ist, und zwar nicht nur mit subversiver, sondern auch unverstellter Theaterlust, liebenswürdig – zu leichtfertig aber auch, was ihren noch uneingelösten Anspruch betrifft.

Auf die Produktion eingehender zurückzukommen, gibt es im Frühling Gelegenheit. Nach dem Gastspiel mit «Das schlaue Füchslein» in der letzten Saison ist das Konzert-Theater Bern im Mai wieder zu Gast in Winterthur, diesmal eben mit der «Zauberflöte». Neu ist, dass es sich dabei um eine Zusammenarbeit mit dem Musikkollegium handelt, das den Orchesterpart übernehmen wird.

Alle sieben Jahre eine Neuauflage

Doch schauen wir näher. Schon am 7. Dezember hat Mozarts «Zauberflöte» Premiere im Opernhaus Zürich. Regisseurin ist da Tatjana Gürbaca, deren karger «Rigoletto» auf der Zürcher Bühne Aufmerksamkeit erregt hat. Zwölf Aufführungen sind in dieser Saison programmiert, die Premiere ist ausverkauft. Die letzten Produktionen liegen noch nicht weit zurück – Dezember 1999 (Jonathan Miller) und Fe­bruar 2007 (Martin Kusej): Etwa alle sieben Jahre scheint für die «Zauberflöte» eine Neuauflage fällig, der Sog des Dauerbrenners, dem die Bregenzer Festspiele soeben einen Publikumsrekord verdankten, ist ungebrochen.