Sigfried Schibli, Basler Zeitung (27.11.2014)
Nigel Lowery und ein motiviertes Sängerteam stellen die «Zauberflöte» auf die Bühne
Sieh mal an, das gibt es auch noch im Theater, dieser Wundertüte der Hochkultur: Man geht halb pflichtbewusst, halb gelangweilt in eine Aufführung und kommt nach drei Stunden beglückt heraus. Und das ausgerechnet mit Mozarts «Zauberflöte», diesem Lieblingsstück aller Unmusikalischen, Favoriten der Kinder und der kindisch Gebliebenen. Und das in Bern, das auf der Landkarte der Opernszene als Provinz gilt.
Angerichtet hat dieses Wunder von Bern der britische Regisseur und Ausstatter Nigel Lowery, den wir Basler Operngänger während der Puhlmann- und Schindhelm-Jahre als unerschrockenen, manchmal genial frechen und manchmal bemüht originellen Inszenator kennengelernt haben. «Hänsel und Gretel» war damals sein Meisterstück, er liess die Geschwister mit Mistgabeln aufeinander losgehen und besorgte Eltern fragen, ob das noch für ihre Kinder tauglich sei.
Drama in neun Etagen
Jetzt verzaubert Nigel Lowery mit einem höchst engagierten Sängerteam die Berner Bühne und mit ihr das Publikum. Er siedelt das Ganze in einem Kaufhaus mit neun Stockwerken an, zuoberst der göttergleiche, aber tattrige Langbart-Sarastro, im Keller die gespenstisch maskenhafte, grausame Königin der Nacht. Dazwischen fährt ein Lift rauf und runter wie im richtigen Warenhausleben.
Die drei Damen sind folgerichtig propere Verkäuferinnen von Luxusartikeln, der chronisch hungrige Eierhändler Papageno macht sich über die Gourmetabteilung her, und die Feuer- und Wasserprobe von Pamina und Tamino findet völlig plausibel in der Abteilung Haushaltsgeräte statt – links die Öfen, rechts die Waschmaschinen. Papagena aber schwebt als menschliches Vögelchen vom Schnürboden herab direkt in die Arme ihres Papageno.
Lowery, der auch für das mit breitem Pinsel gemalte, wunderbar anschauliche Bilderbuch-Bühnenbild verantwortlich zeichnet, hat die Handlung behutsam an sein Konzept angepasst und einen Moderator eingefügt. Der wirkt als Hausmeister im Warenhaus, ist über alles und jedes informiert und mischt auch mal ein bisschen bei der grummelnden Priesterschar des Sarastro – wahrscheinlich die Aktionäre des Kaufhauses – mit (Uwe Schönbeck). Die gesprochenen Dialoge sind kräftig, aber mit viel Witz umgeschrieben und gestrafft.
Dabei nimmt die Regie das Stück von Schikaneder und Mozart in den entscheidenden Punkten sehr ernst und genau. Tamino, der die Nachfolge des greisen Sarastro antreten soll, bleibt ganz der frauenfeindlichen Doktrin des Alten treu: Wenn er in der Schlussszene mit Pamina die Direktionsetage betritt und Pamina sich auf den einzigen Stuhl setzen will, scheucht Tamino sie weg – er und er allein ist der Boss. So viel zur Frauenfeindlichkeit des Stücks, in dem die Priester unisono singen: «Bewahret euch vor Weibertücken: / dies ist des Bundes erste Pflicht.»
Unfehlbare Koloraturen
Im Graben agiert meist glücklich, gegen Ende etwas angestrengt das Berner Symphonieorchester unter seinem neuen ersten Kapellmeister Thomas Blunt. Dieser sorgt für frische Tempi und guten Kontakt zwischen Orchester und Bühne.
Die Darsteller sind fast ausnahmslos von hoher Güte. Allen voran der Papageno von Robin Adams, der nicht den biederen Vogelfänger, sondern eher einen traurigen Clown spielt, herzerweichend schluchzt und untadelig singt. Tamino, in dieser Inszenierung ein Pfadfinder auf der Suche nach dem Glück, wird von Julien Behr mit schönem Tenor verkörpert. Imponierend und in den Koloraturen unfehlbar ist die Königin der Nacht von Yun-Jeong Lee, anmutig und ausdrucksstark die Pamina von Camille Butcher. Der baumlange Kai Wegner singt profund den Sarastro.
Man muss nicht immer das Haar in der Suppe suchen, darf aber doch bemerken, dass die drei herzigen Knaben in der Aufführung am Dienstag stimmlich ein wenig leise waren und der Chor dem Reiz der herrlichen Partitur einiges schuldig blieb. Trotzdem: Auf nach Bern in die Oper!