Halbherzige Entstaubung

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (10.11.2014)

Die lustige Witwe, 08.11.2014, Luzern

Lehárs «Lustige Witwe» im Luzerner Theater

Die neue Produktion der «Lustigen Witwe» im Luzerner Theater begeistert musikalisch durch tänzerische Leichtigkeit. Der Regisseur Dominique Mentha versucht die Operette Franz Lehárs behutsam zu entstauben.

Das Stück brachte dem Komponisten den Lorbeerkranz. Zwischen der Wiener Uraufführung von 1905 und dem Todesjahr 1948 hat Franz Lehárs Operette «Die lustige Witwe» weltweit über 300 000 Aufführungen erlebt. Darüber hinaus existieren mindestens fünf Verfilmungen. Die Gründe des Erfolgs liegen zum einen in einer Handlung, die den Nerv der zu Ende gehenden Donaumonarchie traf, zum andern in einer Musik, deren Dramaturgie den Tanz ins Zentrum stellt. Während die Musik der Operette bis heute zu fesseln vermag, mutet die Story inzwischen reichlich verstaubt an.

Doppelmoral

Die Librettisten Viktor Léon und Leo Stein thematisieren die bürgerliche Doppelmoral, die zwar eine standesgemässe Ehe als Bund für das Leben einfordert, die hingegen toleriert, dass die Eheleute daneben auch fremdgehen. Einen Gegenentwurf zu dieser verlogenen Moral – das ist der Aktualitätsbezug der Operette – bildet Hanna Glawari, die «lustige Witwe». Durch ihren verstorbenen Gatten steinreich geworden, will sie wieder heiraten. Der pontevedrinische Gesandte, Baron Zeta, setzt seinen Gesandtschaftssekretär, Graf Danilo, auf sie an, um zu ihrem Vermögen zu kommen. Dass Hanna dann tatsächlich Danilo heiratet, ist nicht dessen Verführungskünsten zu verdanken, sondern ihrer freien Entscheidung.

Im Luzerner Theater ist «Die lustige Witwe» in einer Neuinszenierung zu erleben, die musikalisch fasziniert und szenisch vorsichtig nach neuen Wegen sucht. Bei der Grundfrage, ob die Operette traditionell oder aktualisierend darzustellen sei, entschied sich der Regisseur Dominique Mentha, seines Zeichens Direktor des Luzerner Theaters, für einen Mittelweg. Bei den von Janina Ammon entworfenen Kostümen herrscht üppige Operettentradition: exotische Uniformen der pontevedrinischen Gesandten im ersten Akt, bunte Folklore-Gewänder im zweiten, leichtbekleidete Maxim-Girls und befrackte Männer im dritten.

Demgegenüber ist bei der Bühne von Werner Hutterli Abstraktion angesagt. Blickfang ist das je nach Situation unterschiedlich beleuchtete Tanzparkett. Mit zahlreichen Stühlen, Perlenvorhängen und Lichterketten werden die einzelnen Szenen charakterisiert. In der Zeitachse placiert Mentha die Handlung anfangs im Jahr 1800, dann im Jahr 1860 und schliesslich im Jahr 1920. Schade, dass diese Reise nicht bis in die Gegenwart fortgesetzt wird. Zu Beginn des dritten Akts baut der Regisseur zudem einen Verfremdungseffekt ein, indem er den Dirigenten am Klavier mit den Grisetten ihren Auftritt proben lässt. Man merkt es: Da versucht einer, den Staub von diesem Stück wegzuwischen, aber all dies geschieht nur ansatzweise und etwas halbherzig.

Howard Arman erreicht mit dem Luzerner Sinfonieorchester sowie dem Chor und dem Extrachor des Luzerner Theaters bei der Premiere eine ausgesprochen tänzerische Wiedergabe. Alle diese Walzer, Cancans, Mazurken oder Polonaisen, die Lehár raffiniert zur Charakterisierung der Personen einsetzt, erklingen mit einer Beweglichkeit und Frische, dass es eine Freude ist.

Ensembleleistung

Bei den Protagonisten konnten fast ausschliesslich Ensemblemitglieder des Luzerner Theaters berücksichtigt werden. Jutta Maria Böhnert in der Titelrolle der Witwe Hanna gefällt mit einem leuchtenden Sopran, braucht aber eine gewisse Zeit, um ihre Rolle auch emotional zu verkörpern. Am Schluss zeigt sie sich als starke Frau, welche die Fäden selber in den Händen behält. Graf Danilo ist beim gebürtigen Wiener Robert Maszl blendend aufgehoben; mit seiner weichen Tenorstimme und der Darstellung seiner widerstrebenden Gefühlslagen punktet er am meisten. Der Bariton Flurin Caduff ist für die Rolle des ältlichen, unterbelichteten Barons Zeta zu jung und zu leichtgewichtig. Eine gute Figur macht Marie-Louise Dressen als Zetas Gattin Valencienne, die einen wahren Kampf zwischen Pflicht und Neigung ausführt. Die Neigung gilt ihrem Liebhaber Camille de Rosillon, der vom Tenor Utku Kuzuluk etwas eindimensional dargestellt wird. Komödiantisch im besten Sinn wirken Alexandre Beuchat und Carlo Jung-Heyk Cho als zwei Adelige, die stets synchron um die Gunst der Witwe buhlen. Natürlich vergeblich.