Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (10.11.2014)
Welches Theater will das Luzerner Publikum? Dominique Mentha gibt mit der «lustigen Witwe» eine so ironische wie zwiespältige Antwort.
Das Luzerner Publikum will Freude haben im Theater, unterbricht der Korrepetitor am Klavier die Grisetten, die ihren Auftritt im Cabaret proben. Sie sehen in ihren Cancan-Kostümen zwar sexy aus, aber hängen gelangweilt herum. Freudiges Theater? Jetzt kreischen sie mit einem Cheese-Lächeln, das Howard Arman wieder zum redseligen Unterbrechen zwingt. Denn das Luzerner Publikum, weiss der Dirigent des Abends in seiner Nebenrolle, will auch «Ehrlichkeit» im Theater, selbst wenn diese nur «vorgetäuscht» ist.
Die Ironie greift erst nach der Pause
Eine solche programmatische Erklärung, was Theater in Luzern zu leisten hat, gibt es an Premieren nicht jeden Tag. Umso mehr hörte man die Szene zu Beginn des dritten Aktes der «lustigen Witwe» am Samstag, drei Tage nach der Wahl des künftigen Intendanten, als kollegialen Rat des gegenwärtigen Theaterleiters an seinen Nachfolger (ab 2016). Dominique Mentha selber führte nämlich Regie in dieser Operette – jenem Genre also, mit dem er sich explizit auch zur «Unterhaltung» bekennt.
Tatsächlich begann der Abend so, wie man es unter dem designierten Intendanten Benedikt von Peter wohl nicht mehr erwarten muss oder darf. Einerseits hing der enttäuschende Auftakt mit dem Werk zusammen: Das amouröse Intrigenspiel um eine Witwe, der alle Männer wegen ihrer Millionen den Hof machen, beginnt mit den Operetten-üblichen Zänkereien bei einem Botschafterempfang, deren Umsetzung einen an die altmodische Operettenkünstlichkeit erinnerte, wie ein Konzertbesucher meinte.
Das lag zweitens an einem Konzept, das das Werk über die farbenfroh-prägnanten Kostüme von Janina Ammon in verschiedene Zeiten versetzt – mit weich fliessenden Empire-Gewändern im ersten («Paris um 1800»), Folklorekostümen im zweiten («Paris um 1860») und einem glitzernden Nachtklub-Look der 1920er-Jahre im dritten Akt. Das ist ein Konzept, das seine Wirkung erst nach der Pause ab dem zweiten Akt entfalten kann. Dessen Ironie zeigt sich erst, wenn im exotischen Volksfest im Haus der Witwe der Botschafter und rivalisierende Ehebrecher in Trachten etwas Lächerliches bekommen hat und der Liebeshändel-Zirkus als gesellschaftliche Maskerade entlarvt wird. Und doch bringen die Abendkleider der 20er-Jahre mit ihrer Sexyness einem das Geschehen schliesslich berührend nahe.
Täuschend echte Darsteller
So kommt diese Inszenierung nach biederem Auftakt doch in Fahrt, wenn sich das Werk emotional verdichtet. Zum einen musikalisch mit einem raffinierten Mix von Operetten-Ohrwürmern mit spritzigen Tanzrhythmen, Fin-de-Siècle-Parfüm und Puccini-Süsse (vorzüglich das Luzerner Sinfonieorchester und der Theaterchor unter Howard Arman). Zum anderen mit den doch noch schwungvollen Tanzszenen im Cabaret, die eine Paraderolle für Marie-Luise Dressen und die jungen Gasttänzerinnen der Musical Factory bieten. Überhaupt wird die Operettenkünstlichkeit vor allem überwunden durch das lebendige Spiel der Darsteller. Jutta Maria Böhnert überhöht den Operettenton zur Gefühlsoper mit ihrem geschmeidigen, alles überstrahlenden Sopran. Robert Maszl macht ihn ganz natürlich mit schlanker Stimme und einem Spiel, das bis in die Verstellung hinein – die Weigerung, der Witwe seine Liebe einzugestehen – täuschend echt und ehrlich wirkt. Flurin Caduff als trotteliger Botschafter sowie Alexandre Beuchat und Carlo Jung-Heyk Cho als profitgierige Liebesintriganten machen selbst aus abgegriffenen Slapstick-Einlagen pointiertes Spiel.
Am Schluss, wenn Werner Hutterlis leere Bühne mit einer traumhaften Überraschung aufwartet und flimmert wie eine Traumfabrik à la Hollywood, findet auch die Inszenierung beim Versteckspiel rund um das Pavillon-Liebes- nest zu einem eigenen Höhepunkt. Das Publikum, das sich schon während der Vorstellung gut gelaunt zeigte, quittierte die ganze Produktion denn auch mit langem, wohlwollendem Applaus.