Waldesweben und Wonnemond

Werner Pfister, Zürcher Oberländer (17.10.2006)

Príhody Lisky Bystrousky, 15.10.2006, Zürich

Tiere, die sich wie Menschen benehmen - das tönt gefährlich nach Disneyland. Nicht bei Katharina Thalbach. Sie führt Mensch und Tier als Parabel vom ewigen Kreislauf der Natur vor: schlichtweg genial.

«Tiere sind schon darum merkwürdiger als wir, weil sie ebenso viel erleben, es aber nicht sagen können. Ein sprechendes Tier wäre nicht mehr als ein Mensch», sagte einmal Elias Canetti.

Als Janácek 1920 im Brünner Tagblatt auf Stanislaw Loleks Tier-Comic «Die Füchsin Bystrouschka» stiess, ging er bereits auf die 70 zu. Drei Jahre zuvor erst hatte er Kamilla Stösslová kennen gelernt. Die junge Frau - bereits verheiratet - wurde seine letzte (unerfüllte) Liebe, was ihn das eigene Älter- und Abgeschobenwerden umso gewaltiger spüren liess. Einsamkeit machte sich breit um ihn, ein Gefühl der Isolation, der Gespaltenheit der menschlichen Existenz.

Die Menschen in seiner neuen Oper «Das schlaue Füchslein» (1924 in Brünn uraufgeführt) leiden alle unter dieser Gespaltenheit - der Förster und seine Frau, der Schulmeister und der Pfarrer, der Gastwirt und die Gastwirtin. Dieser moralisierenden, in die Jahre gekommenen Menschenwelt, der es nur in ihren Wunschvorstellungen gelingt, zu einer unverkrampften Lebensweise zu kommen, stellt Janácek seine Tierwelt gegenüber. Diese haust in den Weiten des Waldes frei und ungebunden und mahnt in ihrem kreatürlich ungespaltenen Dasein den Menschen daran, was ihm zur Ganzheitlichkeit seiner Existenz fehlt.

Der gefallene Mensch

Denn der Mensch ist aus dem Naturzusammenhang herausgefallen, sieht sich als Zentrum der Welt und seine Individualität als deren Angelpunkt. Er hat keinen Blick dafür, wie wenig wichtig alles individuelle Leben für die Existenz von Leben an sich ist, für den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. In diese «kreatürliche», gleichsam präexistente Daseinsform scheint sich der bejahrte Janácek zurückzusehnen - jedenfalls kündet seine Musik von diesem Sehnen, emotional so reichhaltig und mitfühlend wie sonst in keiner seiner Opern.

Das alles bebildert Ezio Toffolutti mit einer überlebensgrossen Natur, gesehen aus der Mikro-Perspektive der kleinen Tiere im Wald. Ein Schuh des Försters nimmt die halbe Bühne ein, wird lebensbedrohend für die am Boden kriechende Insektenwelt. Blumen wachsen meterhoch; eine Schnecke kriecht das Bühnenportal hinauf und hinunter; Mücken, Grillen, Heuschrecken, Libellen summen und surren und fliegen (!) um die Wette; der Igel stellt wiederholt seine Stacheln.

Die verlorenen Blütenträume

Reinstes Bewegungstheater, von Katharina Thalbach als ein tierisch vergnügliches Waldweben inszeniert und von Darie Cardyn ebenso pfiffig choreografiert. Das lebt und webt und tanzt und taumelt, dass es nur so eine Lust ist. Unvergleichlich der Auftritt des Hahns und seiner Lieblingshenne, sich plusternd vor reiner Lebens- und Liebeslust. Und wenn es dann still wird im Wald, der Wonnemond über den Jungfuchs und das Füchslein Schlaukopf strahlt, entspinnt sich eine Liebesgeschichte so zart und rein, so wunderbar verspielt und ernst zugleich, wie das vielleicht nur eine Frau zu inszenieren vermag.

Plötzlich begreift man als Zuschauer, was einen da ergreift: eine Sehnsucht nach den Blütenträumen der Kindheit von einst. Ein ungemein bewegendes Spiel - und grossartig gespielt vom Ensemble des Zürcher Opernhauses. Über 30 Partien listet die Partitur auf, dazu einen Kinderchor der kleinen Füchse, einen Jugendchor der Hennen und viele Ballett tanzende Fliegen. Martina Jankova ist ein ebenso resolutes wie liebreizendes Füchslein Schlaukopf, Judith Schmid ein draufgängerischer, vollmundig verführerischer Jungfuchs. Oliver Widmer findet als Förster neben den polternden Tönen auch die nachdenklichen: Ihm allein ist es beschieden, im Schlussmonolog zu einer wunderbar gerundeten, «kreatürlichen» Gelassenheit zu finden.

Begeistertes Publikum

Peter Straka und Pavel Daniluk haben als Schulmeister und Pfarrer eindrückliche Auftritte im Wirtshaus; Valeriy Murga bringt als Harasta von allem Anfang bedrohliche Untertöne mit ins Spiel - letztlich ist er es, der die Füchsin erschiesst. Unter der umsichtigen Leitung von Adam Fischer spielt das Orchester der Oper Zürich vor allem die Naturszenen derart klangsensibel und innig, dass man mitunter fast ein paar Tränen zerdrückt. Was ist das für eine expressive, überwältigend schöne Musik. Lang anhaltender Beifall für alle zum Schluss und für Katharina Thalbach frenetische Bravo-Rufe.