Herbert Büttiker, Der Landbote (01.12.2014)
Auch Basel hat jetzt seinen künstlerischen Hafenkran. Er ist zentrales Element einer rohen Bühne für Verdis «Otello» und spielt mit in einer dann doch vor allem musikalisch packenden Inszenierung.
Das Theater Basel bietet in dieser Saison ein ausgedehntes Finale. In der neunten und letzten Spielzeit der Direktion Georges Delnon soll es im grössten Dreispartenhaus der Schweiz hoch zugehen, und die Premiere von Giuseppe Verdis spätem «Otello» mit seinen hochgradigen Anforderungen an Sänger, Chor und Orchester am Samstag kann als schönes Beispiel für das enorme Potenzial des Basler Theaters gelten.
Mit Gabriel Feltz stand ein Dirigent am Pult, der die Kräfte des intensiv und klangschön spielenden Sinfonieorchesters und der Bühne energisch und präzis bündelte, dabei aber jedem Einsatz das Moment der Freiheit im Aufblühen des Klangs gab: unvergesslich zu Beginn in der aufgepeitschten Sturmmusik der in den vier «E salvo!»-Takten aufatmende Chor.
Dass die Zyprioten Otellos Sieg über die Türken als Gefangene, schliesslich blutüberströmte Folteropfer feiern, bleibt das Geheimnis des Regisseurs Calixto Bieito, in Basel Artist in Residence. Dieser hatte es zuletzt – im Opernhaus Zürich mit Bernd Alois Zimmermanns «Soldaten», in Basel mit Benjamin Brittens «War Requiem» – mit der Welt der Kasernen und des Militärs zu tun und dabei schlüssige Inszenierungen gezeigt.
Sex und häusliche Gewalt
Der Basler «Otello» kommt nun seltsamerweise ganz in Zivil und ohne Waffen daher (Bekleidung: Ingo Krügler). Die Handlung – Zypern, Ende 15. Jahrhundert, die Zeit der Rivalität der Venezianer und Türken um die Vorherrschaft im Mittelmeer – spielt auf und um den Hafenkran (ein suggestiv beleuchtetes Einheitsbühnenbild von Susanne Gschwender), auf dem Otello, weit in den Zuschauerraum geschwenkt, zuletzt auch stirbt. Die Regie verweigert sich einer illustrativen Handlungsführung nicht nur hier, gibt sich aber andererseits hyperrealistisch, etwa in den Szenen häuslicher Gewalt, und sie kann es zum Dritten auch nicht lassen, immer wieder mit plumper Symbolgestik zu zeigen, was in den Köpfen der Männer vorgeht und dass es da immer um Sex geht.
Dass Bieitos Mix Verdis Dramaturgie schlecht bekommt, war schon bei seinem skandalträchtigen Basler «Don Carlo» und bei «Aida» zu bemerken. Mit lautstarken Buhs sah er sich auch jetzt konfrontiert, aber seine Schockszenen – die nirgendwo motivierte Hinrichtung am Haken des Hafenkrans neben dem lieblichen Huldigungschor für Desdemona zum Beispiel – greifen kaum mehr.
Grossartige Protagonisten
Die Aufführung war aber auch reich an ergreifenden Momenten, und dies auch und gerade durch die Rollenverkörperung in Gesang und Darstellung eines grossartigen Protagonistentrios. Bei Simon Neal, der Jago nicht als intellektuell kühlen, sondern eifernd hitzigen Zyniker spielt, litt freilich mit den Bocksprüngen in der Trinkszene die Intonation, aber das «Credo» hatte dann mit präziser Phrasierung und kraftvoller Höhe das bezwingende Format der nihilistischen Egosteigerung, in der Verdi und Bieito das Böse «menschlich» verorten.
Grosse Verdi-Sängerin
Jagos Werk, die Demontage des «menschlichen» Menschen, hatte die berührendsten Momente in Otellos in sich gekehrtem Monolog im dritten Akt, im vierten Akt in der unendlichen Traurigkeit von Desdemonas Weidelied und Gebet sowie Otellos finalem Monolog. Wie der Litauer Kristian Benedikt nach allen heldentenoralen Eklats sein «Ma, o pianto, o duol» aus der Stille heraus gestalten und in die Höhe führen konnte, krönte die insgesamt imponierende Bewältigung der exorbitanten Partie. So war die schrittweise Destabilisierung der Persönlichkeit musikalisch erschütternd präsent, während ihn Berserkerregie darstellerisch schon im ersten Eifersuchtsausbruch des hier nicht schwarzen, sondern nordisch weissen Otello sozusagen das Finale erreichen liess.
Unter diesen Umständen als Desdemona durchzuhalten bis in den vierten Akt, ist eine Herausforderung, und die Russin Svetlana Ignatovich konnte in den ungemein sensibel wie dramatisch gestalteten Duettszenen zeigen, dass sie zu den grossen Verdi-Sängerinnen unserer Zeit gehört. Und ihre letzte Szene gestaltet sie so entrückt, so visionär und auch anrührend einfach, dass selbst der Hafenkran, der in dieser Inszenierung auch für das Schlafgemach steht, für eine Weile zu verschwinden und einem Todesraum von abstrakter Unerbittlichkeit Platz zu machen schien.