Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (03.12.2014)
Nach «Don Carlos» und «Aida» hat der spanische Regisseur Calixto Bieito erneut eine Verdi-Oper am Theater Basel inszeniert. Sein «Otello» war typisch Bieito: blutig, brutal, ganz der Wirkungsmacht einzelner Bilder vertrauend.
Jetzt hat auch Basel seinen Hafenkran: Nicht am Fluss wie der jenige in Zürich, aber im Theater, und genauso Kunst: Nämlich das prägende Bühnenbild-Element der «Otello»-Inszenierung von Calixto Bieito. Vorerst dient er nur dazu, einen Gefangenen zu erhängen, aber am Schluss wird er ins Publikum geschwenkt und hoch über den Zuschauerreihen hauchen erst Desdemona und dann Otello ihr Leben aus. Starke Bilder gelingen Bieito am Ende, auch der Anfang, die Sturmszene mit grandiosen, rhythmisch noch nicht ganz präzisen Chören gelingt als packende Bilderchiffre und entschädigen für die Statik, die in den meisten Szenen vorherrscht.
Nicht viel Packendes aus «Otello»
Trotz solcher Momente ist dem spanischen Regisseur diesmal eher wenig eingefallen. Dass «Otello» am Meer spielt, logisch, dass er heute spielt, warum nicht: Intrigen und Eifersucht lassen sich überall hin transportieren. Aber nicht nur der Papst, auch Bieito hat die Bilder von afrikanischen Flüchtlingen vor den Augen. Und so dreht er den Spiess um: Nicht Otello ist der Aussenseiter (er ist hier nicht einmal schwarz), sondern er, Jago, Cassio und Co. repräsentieren das reiche Europa, die Massen des Chors und der Statisten sind die aufge griffenen Bootsflüchtlinge, die mit Stacheldraht und Folter in Schach gehalten werden.
So tragen sie halt in ihrem zweiten Auftritt alle blutige Leibchen. Sinn macht das nicht, und das Bild ist langsam doch ein bisschen verbraucht. Auch Otello hat schon zu Beginn Blut an den Händen, und er schneidet sich an jeder Glasscherbe erneut die Hände blutig. Ziemlich krank, dieser Otello: Bieito bietet eine ganze Palette medizinischer Diagnosen an, von Persönlichkeitsstörungen über epileptische Anfälle bis zu Herzattacken. Das bekommt Desdemona sehr schnell zu spüren: Vorerst fällt er nur jähzornig über ihren Blumenstrauss her, dann aber reisst er ihr die Kleider vom Leib und vergewaltigt sie beinahe. Auch dem Paar Emilia-Jago dichtet Bieito einen handfesten Ehekrach an.
Der Rest des Personals schaut zu: In den Ensembles wird herumgestanden, und auch sonst gibt es nur wenig Bewegung, die meiste davon überflüssig. Warum zum Beispiel die Nebenfigur Emilia ständig irgendwo herumtigert, bleibt am Ende offen. Mässig lustig das Besäufnis, etwas amüsanter die Sex-Pantomime von Jago und Cassio, die den versteckten Otello von Cassios Schuld überzeugt. Aber sonst bleibt nicht viel Packendes haften aus diesem «Otello». Und das dramatische Nacherzählen der Handlung interessiert Bieito nicht. So musste er diesmal vom Basler Publikum, das seine Ins zenierungen seit Jahren kennt, auch ein paar kräftige Buhs einstecken.
Grandiose Sturmszene
Ungeteilten Applaus ernteten dafür die Sänger und Musiker: Svetlana Ignatovich sang die Desdemona mit einigen Schärfen und Härten in der Höhe, wenn sie sich dramatisch gab, im Finale aber sang sie sehr anrührend und stimmlich rund, mit der passenden Palette an Klangfarben. Noch mehr Nuancen hatte Simon Neal für einen sensationellen Jago zur Ver fügung: Die treibende böse Kraft in diesem Drama gewann vielschichtige Schattierungen in der Darstellung des britischen Baritons. Weniger zu überzeugen vermochte der litauische Tenor Kristian Benedict in der Titelrolle. Vieles wirkte angestrengt, sein Timbre klang wenig ansprechend und oft eindimensional. Sattes Volumen und stimmliche Durchschlagskraft allein sind für einen «Otello» zu wenig. Dafür kamen aus dem Orchestergraben sehr differenzierte Töne: Gabriel Feltz war rhythmisch wie dynamisch überaus aufmerksam, sorgte für Spannung und Dramatik, ohne ständig laut zu sein. Ein Musterbeispiel dafür war die grandiose Sturmszene zur Eröffnung.