Mit Sarastro am Gartengrill

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (09.12.2014)

Die Zauberflöte, 07.12.2014, Zürich

In Zürich entmystifiziert Regisseurin Tatjana Gür baca Mozarts «Zauberflöte» und peppt sie mit farbigen, witzigen Zutaten auf. Aufhorchen liessen an der Premiere am Sonntag die Töne aus dem Graben.

Niemand traut mehr dem Triumph des Wahren, Schönen, Guten. Nigel Lowery versetzte kürzlich in Bern Sarastros Tempel in ein Kaufhaus, vor sieben Jahren machte Martin Kusej aus der «Zauberflöte» einen obskuren Horrorfilm, und Tatjana Gürbaca übernahm von ihm nicht nur eine blutige Schürze und die Schlächter-Axt, sie hinterliess ähnlich zwiespältige Gefühle beim Publikum, die sich bei der Premiere im Zürcher Opernhaus am Sonntag in kräftigen Buhs für die Regie entluden.

Man kann’s verstehen: Gürbaca hat die gesprochenen Texte radikal umgeschrieben, im Bemühen, Licht hinter die Motivationen der Figuren zu bringen. So darf sich die Königin der Nacht ausgiebig über ihren verstorbenen Mann («den Trottel») auslassen, der das Machtsymbol, den Sonnenkranz, einst Sarastro vererbte. Monostatos ist nicht schwarz, dafür behaart, und lässt minutenlange Feuerwerke intellektueller Phrasendrescherei über die Mitmenschheit ergehen. Sogar Papageno wird kurz angesteckt, sich seiner sexuellen Orientierung bewusst zu werden, bevor er wieder zum üblichen Genussmenschen mutiert.

Kollisionen mit Mozarts Musik

Aber man kann die Brüche in diesem Werk nicht dadurch kitten, dass man selbst neue Brüche hinzufügt, die in Gürbacas Fall hauptsächlich mit Mozarts Musik kollidieren. Kommt dazu, dass Opernsänger nicht immer Talent zum Schauspielern haben. Die Stimme von Sen Guo passt perfekt zu den Höhenflügen der Königin der Nacht, ihr Deutsch und ihre darstellerische Ausstrahlung legen dagegen nahe, ihre Sprechpartie auf das Minimum zu reduzieren.

Baumeister Sarastro soll eine fensterlose Ruine renovieren, in der Hühner (echte und elektronische) und auch sonst allerlei Getier, Zombies und Zorros, bärtige Weiber oder Vogelmenschen leben. Frei wird gemauert, die wuchernde Natur mit Fabel- und Zwitterwesen, Wanzen und viel Unterholz wird ausgeräumt. Zu «O Isis und Osiris» mauert man die Feuerstelle zum Gartengrill um, die Heiligen Hallen zeigen eine Teestunde mit fein aufgereihten Pärchen, und zum finalen Sieg der Sonne ist die Gartenparty bei der Polonaise angelangt. Nur Pamina vermissen wir da: Sollte sie sich tatsächlich als Papagena verkleidet haben und mit dem Vogelfänger durchgebrannt sein?

Gutes Orchester, gut geführt

Wesentlich eindeutiger war da die Musik. Dem Dirigenten Cornelius Meister stand die Originalklang-Formation des Zürcher Opernhauses, La Scintilla, zur Verfügung. Und ein so Mozart-versiertes und -erfahrenes Ensemble bringt all die Klangfarben und artikulatorischen Finessen für eine rundum begeisternde «Zauberflöte» mit. Meister bedankte sich, sorgte für die nötige Koordination (noch nicht immer mit letztem Erfolg) und profilierte sich als Meister der dynamischen Abstufungen, vor allem aber der Temporelationen. Sehr oft war er erstaunlich langsam, verlor aber nie an Spannung, sondern gewann Intensität, wesentlich auch deswegen, weil er nie einfach nur einen Puls ausfüllte, sondern stets in lebendiger agogischer Bewegung blieb.

Tölzer Knaben enttäuschen nicht

Mauro Peter sang den Tamino mit sehr schönem, aber auch oft immer etwas gleichen Timbre. Für diese Rolle in dieser Inszenierung, die ihn keineswegs als Helden zeigt, mag das an gehen. Auch bei der Pamina von der norwegischen Sopranistin Mari Eriksmoen hätte man sich neben der un bestrittenen Schönheit der Linien ein Plus an stimmlicher Variabilität gewünscht, umso mehr als sie in dieser Inszenierung eben gerade nicht bloss die naive hilflose Unschuld zu mimen hatte. Ruben Drole brachte seine Papageno-Erfahrung souverän ein, bewies aber auch, dass er neuen Ideen und Varianten der Darstellung gegenüber sehr offen ist. Den Sarastro sang Christof Fischesser mit der nötigen Bass-Autorität, Sen Guo begeisterte mit tadellos getroffenen Spitzentönen als nächtliche Königin. Herausragend sangen auch die drei Knaben vom Tölzer Knabenchor – alles andere wäre nach den Querelen um ihre Bevorzugung vor den Zürcher Lokalmatadoren ein politisches Fiasko gewesen.