Sigfried Schibli, Basler Zeitung (09.12.2014)
Mozarts «Zauberflöte» am Zürcher Opernhaus
Wenn Regisseuren allmählich die Ideen ausgehen, greifen sie gern zu einem Mittel, das fast immer Wirkung tut: zur Drehbühne. Im Zürcher Opernhaus dreht sich fast während der ganzen langen «Zauberflöte» von Mozart die Bühne und lässt das zweistöckige Haus, das der Bühnenbildner Klaus Grünberg daraufgestellt hat, rotieren. Dennoch kann man nicht sagen, dass der deutschen Regisseurin Tatjana Gürbaca nichts eingefallen sei. Ganz im Gegenteil – die einstige Mainzer Opernchefin schüttet einen ganzen Container an Ideen über die gute alte «Zauberflöte» und erstickt sie damit fast.
Am Anfang sehen wir eine Hausruine, in welcher verdorrte Bäume stehen und die Hühner (ausgeliehen vom Basler Circus Maus) herumtanzen. Es sind die Tiere des Vogelhändlers Papageno, die dieser der «sternflammenden Königin» verkauft. Die Schlange, die den Tamino bedroht, hat man eingespart, dafür wachsen den drei Damen im Piratenlook männliche Bärte, während Papageno Zöpfe wie ein Mädchen oder ein Indianerjüngling trägt. Eine ganz schön verkehrte Welt.
Frühstück im Landhotel
Sarastro ist kein weiser Alter (und kein tattriger Tolkien-Gandalf wie in der Berner Inszenierung von Nigel Lowery), sondern ein Architekt im Casual Look. Der sorgt mit seinem Bautrupp dafür, dass das Häuschen in Windeseile bewohnbar gemacht und zu einem offenbar florierenden Landgasthaus umgebaut wird. Später wird er – passend zur Hallen-Arie – den Übeltäter Monostatos zum Frühstück einladen. Monostatos, bei Mozart ein geiler Mohr, ist hier ein schlaksiger, langbärtiger Intellektueller, der Pamina erst in einer dialektischen Verbalattacke auf sein erotisches Ansinnen einstimmt. «Ich bin die andere Seite des Sarastro», philosophiert er – durchaus nicht unklug.
Ja, überhaupt die Dialoge, die von der Regisseurin kräftig umgeschrieben und als intellektuelle Zeitgeist-Pfeiler in den Schikaneder-Text gerammt worden sind! Die Königin der Nacht gibt eine feministische Klage über ihren entscheidungsschwachen Mann und ihren Rivalen Sarastro von sich, und Papageno, der schlichte Gemütsmensch, fabuliert Halbverdautes über Androgynie und Panerotismus.
Dialogfrei bleiben die wilden Tiere, die hier zu roten Krabbelkäfern mutierten, während Flöte und Glockenspiel, die Zauberinstrumente von Tamino und Papageno, zu verdorrten Ästen geschrumpft sind. Nur Tamino und Pamina, Prinz und Prinzessin, sowie das klettersichere Papagena-Vögelchen entsprechen einigermassen den traditionellen Rollenbildern.
Zürich als Debütantenstadl
Viele bisweilen bemüht originelle Ideen sind in die Inszenierung eingeflossen, aber am Ende wirkt sie doch ziellos und überfrachtet und die Musik als das Wichtigste. Cornelius Meister dirigiert das Orchester La Scintilla, und er setzt leider schon in der Ouvertüre auf zähe, schwerfällige Tempi. Da wirkt vieles buchstabiert anstatt musiziert.
Dafür kann sich Meister auf ein junges Sängerensemble verlassen, das die ins Groteske kippenden Ideen der Regisseurin mit den Ansprüchen der Partitur in Deckung bringt. Während der Tamino des erst 27-jährigen Luzerners Mauro Peter ein wenig blass bleibt, singt sich Ruben Drole als Papageno in die Herzen des Publikums. Sen Guo ist eine koloraturensichere Königin der Nacht und Mari Eriksmoen die anmutige Pamina. Christof Fischesser singt behäbig den Sarastro und Michael Laurenz gekonnt den Monostatos.
In dieser Produktion brillieren auch die drei Knaben, die man vom Tölzer Knabenchor importiert hat. Im Übrigen aber ist die Berner Neuproduktion der beliebtesten Mozartoper schlichter, schöner, poetischer als die in Zürich.