Mehr Diskurs als Theater

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (09.12.2014)

Die Zauberflöte, 07.12.2014, Zürich

Andeutungsflut in der Inszenierung, mässige Sänger – aber Feuer im Orchester: Mozarts «Zauberflöte» kommt am Opernhaus Zürich seltsam daher.

Im Schauspiel würde man das «nach Mozarts ≪Zauberflöte≫» nennen: Im Opernhaus Zürich spürt Tatjana Gürbaca den untergründigen Themen nach und verliert darüber die erste Ebene aus dem Blick. Diese «Zauberflöte» ist mehr Diskurs als Theater: Sie zeigt die Geschichte als Kampf zwischen einer kreatürlich-kaputt-bedrohlichen Natur und einer kontrolliert-kaputten Gesellschaft von heute. Nur ein Gesamtbild ergibt sich nicht.

Königin mit Beil und Säge

Die Welt der Königin der Nacht ist die Natur: Animierte und echte Hühner tummeln sich da zwischen Ästen und Federn. Die Figuren tragen phantasievolle Pelzhippieklamotten und androgyne Frisuren (Silke Willrett). Der anarchische Papageno ist trotz seiner Unangepasstheit hier schon richtig – auch wenn ihn Ruben Drole mit seltsam abgedunkelter, polternder Stimme gibt. Die drei gut harmonierenden Damen tragen Bart und Tierkopf, die Königin (Sen Guo mit zweifelhafter Intonation und beschränktem Ausdruck) hantiert mit Beil und Säge. Und dank Zauberflöte gewinnt ihr Kakerlakenheer auch gegen Sarastros Desinfektionsteam.

Sarastro räumt auf

Sarastros Sphäre dagegen ist eine sehr aufgeräumte Moderne. Seine Priester tragen heutige Strassenkleider und domestizieren jede Unordnung: Statt Spiegelei vom Feuer gibt's eleganten Nachmittagstee zu zweit und ständig wischt jemand: Die Welt kann geordneter und damit besser gemacht werden – um den Preis der Biederkeit, die Christof Fischessers Figur repräsentiert. Das verlangt dann aber stromlinienförmige Menschen – nicht wie Monostatos, der am ganzen Körper behaart und damit stigmatisiert ist und konstant piano singt, sein Liebesbedürfnis aber in vollendeter soziologischer Phrasendrescherei beschreiben kann: Michael Laurenz macht das hervorragend.

Unterbelichtete Figuren

Wer ist jetzt hier ein Mensch? Was macht ihn aus? Diese grossen Fragen stehen im Zentrum der neuen Dialogfassung. Nur ist das erst ein Konzept, in welches die Handlung, welche auch die Musik erzählt, noch passen sollte. Und hier ist Regisseurin Tatjana Gürbaca diesmal nicht genug weit gekommen, die Opernhandlung läuft bisweilen dann einfach noch nebenher. Die Initiationshandlungen des Prinzen und der Prinzessin bleiben unterbelichtet. Damit auch die beiden zentralen Figuren. Mari Eriksmoen singt die Pamina mit schöner Linie, kämpft in ihrer Arie aber mit dem langsamen Tempo. Mauro Peter, der junge Schweizer Tamino, singt merkwürdig kraftlos und monochrom; nach vielversprechenden Rollen am Opernhaus scheint diese nun zu früh zu kommen.

Grossartige drei Knaben

Schlicht grossartig singen die drei Solisten des Tölzer Knabenchors (und lassen den Streit darum, ob Zürcher Sängerknaben diese Rollen nicht auch hätten singen können vergessen), und herrlich wach, knackig und alert spielt auch das Orchestra La Scintilla. Cornelius Meister setzt bei der ersten Zusammenarbeit auf Kontraste, die immer überrascht hinhören lassen. Doch wirkt das hier manchmal wie Begleitmusik zu einer szenischen These, mit der der «Zauberflöte» nicht beizukommen ist.