Von vorgestern auf heute

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (09.12.2014)

Die Zauberflöte, 07.12.2014, Zürich

Im Opernhaus Zürich gibt es eine neue «Zauberflöte». Der Abend mit Wolfgang Amadeus Mozart, Cornelius Meister und Tatjana Gürbaca ist reich an szenischer Anregung wie an musikalischer Erfüllung.

Ach ja, es schlug wieder die Stunde der Theaterkenner, einmal mehr durfte man mit Huronengebrüll Einspruch erheben gegen eine Regisseurin, die sich erfrecht hatte, Regie zu führen – geistreich und überraschend, witzig und lustvoll. Gewiss, in der neuen «Zauberflöte» des Opernhauses Zürich kommt kein Tempel vor und keine Pyramide, in der Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper, die Tatjana Gürbaca erdacht hat, ist der Ort der Weisheit ein simples Haus mit vier Seiten, mit Türen und Fenstern – Sarastro erscheint eben nicht als weihevoller Priester mit wallendem Bart, sondern als ein Architekt unserer Tage, und dass er den Freimaurern angehört, davon sprechen die Kellen, die seine Gehilfen verwenden. Dass das so ist, entspringt weder einer Lust am Stören oder Zerstören noch dem Zwang, durch Andersartigkeit aufzufallen. Es hat vielmehr seine Gründe.

Tatjana Gürbaca, eine der führenden Theaterkünstlerinnen ihrer Generation, sieht «Die Zauberflöte» im Kontext der späten Opern Mozarts, die allesamt auch von ihrer Zeit sprechen: von den Ideen der Aufklärung, wie sie 1789 explodiert sind und wie sie 1791, als «Die Zauberflöte» auf der Wieden uraufgeführt wurde, auch im kaiserlichen Wien in aller Munde waren. Die «felsige Gegend» des Beginns steht für eine Art Urzustand der Natur, wie ihn später Richard Wagner in «Rheingold» aufgenommen hat. Geäst und friedlich rauchende Feuerchen hat der Bühnenbildner Klaus Grünberg rund um das Haus verteilt, Edelhühner gibt es, echte wie nachgebildete, einen Menschen, der ein halber Vogel sein soll, und drei Damen (Alexandra Tarniceru, Julia Riley, Judit Kutasi), die auch ein bisschen Herren sind. Kein Wunder: Nach der Art von Rittern haben sie eine giftige Schlange zur Strecke gebracht, und nun interessieren sie sich wie frech kichernde Biester für den jungen Schönen, den sie vorfinden. Der, es ist Tamino, eröffnet das Geschehen mit einem veritablen Urschrei.

Ambivalenzen

Das freilich ist gerade nicht der Tonfall, den Mauro Peter pflegt. Der Tenor aus Luzern, der ein ausgesprochen junges und ausnehmend hochstehendes Ensemble anführt, arbeitet mit einem lyrischen, samtig weichen Timbre, das ihm erlaubt, den Sextsprung zu Beginn der Bildnis-Arie mit aller Emphase, doch fern von Kitsch zu erfüllen. Mit Ruben Drole begegnet ihm ein Papageno von geradezu idealem Format. Mit Leichtigkeit stellt er seinen glänzend voluminösen Bariton ins Licht, jederzeit weiss er ihn aber auch in die Ensembles einzubinden. Und aller Stimmpracht zum Trotz ist jedes Wort zu verstehen – übrigens nicht nur bei ihm. Und dann diese Spielfreude, diese genuine Theaterlust, die nur in der Szene mit dem Weinglas etwas ins Kraut schiesst. Gleich ist aber auch die Königin der Nacht zur Stelle. Sie erscheint, von der Kostümbildnerin Silke Willrett ins notwendige Glitzerwerk gehüllt, in einem Halbmond, der sowohl an die Bühnenbildentwürfe Karl Friedrich Schinkels wie auch an die legendäre Salzburger «Zauberflöte» von Achim Freyer aus dem Jahre 1997 erinnert. Und mit welcher traumwandlerischen Sicherheit Sen Guo ihre halsbrecherischen Koloraturen meistert, ist bewundernswert.

Für vieles steht die Königin der Nacht – die am Ende dieses Abends durch den herabfallenden schwarzen Vorhang endgültig desavouiert wird. Zum Beispiel steht sie für das durch die Dunkelheit Verdeckte, für das Erotische, auch das Animalische. Herrlich die wilden Tiere, mit denen sie das Haus ihres Widersachers zu infiltrieren sucht – diese drolligen Riesen-Wanzen, gegen die nur die Herren Schädlingsbekämpfer des (einmal mehr mässigen, weil durch Vibrato gestörten) Chors angehen können. Da zeigt sich schon der Zwiespalt in der Figur des Sarastro. Im Gegensatz zum kreatürlichen Naturzustand des Beginns, zum Dunklen der Königin, aber auch zum feudalen System, wie es Tamino mit Mantel und Degen anzeigt, verkörpert Sarastro das helle Licht der Aufklärung, das Rationale, die von Menschen in Gleichheit geschaffene Ordnung und die Kunst. Darum sind Flöte und Glockenspiel zunächst dürre Ästchen, bevor sie dann durch Andrea Kollé und Andrea del Bianco in ihrem ganzen Glanz zur Geltung gebracht werden.

Umgekehrt macht die Inszenierung kein Hehl daraus, dass es auch bei Sarastro Schattenseiten gibt – keine vokalen, denn Christof Fischesser bewältigt die alles andere als einfache Partie meisterlich. Nein, es sind Schwachstellen in der Persönlichkeit. Sarastros manifeste Frauenfeindlichkeit liesse sich vielleicht noch hinnehmen; sie ist Ausdruck seines Kampfs gegen die Königin der Nacht als Personifizierung der alten Ordnung, sie ist zudem musikalisch relativiert, indem Mozart gerade dort, wo von der Neigung der «Weiber», «aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten», die Rede ist, einen verminderten Akkord komponiert hat. Doch die von ihm in warmen Worten vertretenen Werte der Menschenwürde tritt Sarastro gleich selber mit Füssen – durch sein Verhalten gegenüber Monostatos, den er erst an seinem Tisch Tee trinken lässt, dem er dann aber den Kuchen wie einem Tier zum Frasse vorwirft. Tatsächlich ist Monostatos, Michael Laurenz verkörpert das virtuos, kein Schwarzer, sondern ein Waldschratt, der jedoch Intellektuellendeutsch spricht – ein Aussenseiter im doppelten Sinn. Ja, Tatjana Gürbaca hat die von Emanuel Schikaneder stammenden Texte leicht modifiziert, in unsere Zeit übertragen. Wie sie die Menschen um Sarastro in einer Art Zeitraffer als heutige Vertreter der Konsumgesellschaft zeigt.

Ein musikalisches Fest

Darüber kann man sich vielleicht aufregen – über den Versuch der Regisseurin, im Geiste Brechts die Identifikation zu stören und die Distanz, die uns von der «Zauberflöte» trennt, spürbar, ja fruchtbar zu machen. Fruchtbar darum, weil man so für die schlechterdings sensationellen musikalischen Qualitäten der neuen Zürcher «Zauberflöte» besonders offen ist. Wie das Vokalensemble insgesamt, wie auch Deanna Breiwick als Papagena erfüllt Mari Eriksmoen die Partie der Pamina mit berührender Intensität. Ihre Trauer-Arie im zweiten Akt gerät zu einem Höhepunkt und schafft das genau richtige Gegengewicht zu den vielen witzigen, an die Tradition des Volkstheaters anschliessenden Momenten des Abends.

Nicht hoch genug kann hier auch der Beitrag des Barockorchesters La Scintilla geschätzt werden. An seinem Pult steht mit dem ebenfalls jungen Deutschen Cornelius Meister ein Mann der Stunde. Grossartige Arbeit leistet er mit dem ORF-Symphonieorchester in Wien, am Opernhaus Zürich hat er sich mit einer hinreissend durchgezogenen «Salome» vorgestellt. «Die Zauberflöte» liegt ihm in Fleisch und Blut – und so dirigiert er auswendig, in stetem Kontakt mit den Sängern und mit den stimmigsten Tempi, die man sich denken kann. Wunderbar aufeinander abgestimmt die Klangfarben, was immer wieder zu überraschenden Hörerlebnissen führt, nachdrücklich ausgearbeitet das Binnengewebe, das Nebenstimmen zu kreativer Mitwirkung am Geschehen bringt, packend die federnde Akzentuierung im insgesamt leichten Klangbild. Cornelius Meister macht denn auch kein Geheimnis daraus, wo er gelernt hat: bei Nikolaus Harnoncourt.