Herbert Büttiker, Der Landbote (09.12.2014)
Das Chaos im ersten, die Ordnung im zweiten Akt: Die beiden Welten der neuen «Zauberflöte» machten die Wahl dem Premierenpublikum einfach: Es hielt sich an die Musik, die Inszenierung erntete viel Buh.
War zuerst das Huhn? Oder das Ei? Die Zauberflöte jedenfalls kam später. Das Ei ziert das Plakat der neuen «Zauberflöte», und auch von den Opernhühnern weiss man seit längerem: dass sie eigens für die Zürcher Bühne dressiert werden und dass sie Verstärkung durch täuschend echte, in den Werkstätten des Opernhauses geschaffene Roboterhühner erhalten. Nun, auf der grossen Drehbühne nehmen sich die Hühner ziemlich klein aus, und bei all dem Betrieb bleibt wenig Aufmerksamkeit für die gefiederten Stars. Und vor allem: Man sucht nach der «Zauberflöte». Um die Schlange etwa, von der Tamino verfolgt wird, hat sich keine Werkstätte gekümmert.
Dafür haben Stinkkäfer ihren grossen Auftritt: Die Inszenierung von Tatjana Gürbaca und ihrem Team betreibt viel Aufwand, um vieles anders zu machen. Den Text von Emanuel Schikaneder hat die Regisseurin stark umgeschrieben, nicht ohne klug kommentierenden Blick aus der Gegenwart aufs Stück, aber auch mit manch plattem und breit gewalztem Witz.
Der Lüstling Monostatos, der hier kein «Mohr» ist, wird zur grossen Rolle. Was Inszenierungen sonst an Aufklärungsoptimismus oder emanzipatorischem Geist aus der Mozart-Oper herauslesen, wird mit ihr im absurden dialektischen Gequassel eines Adorno-Adepten verulkt, der am Ende als Revoluzzer seinen eigenen Weg geht. Zurück bleibt, ebenso karikiert, bürgerlich-ordentliche Welt, in der ein Papageno und eine Papagena – Ecopop! – keine Kinder haben dürfen und die Hoffnungsträger Tamino und Pamina zu Theatermasken erstarrt sind.
Das «Zauberfagott»
Die weissen Sonnenkreis-Masken werden den beiden in der Prüfungsszene aufgesetzt, und die Szene ist, obwohl sehr fremd, wohl auch die stimmungsvollste des Abends. Während sich die beiden Gesichter in der Grossaufnahme der Videoprojektion annähern, gibt es für die Bühnenfiguren keinen Gang durch Feuer und Wasser, sie haben ausgespielt. In der Musik aber blüht Mozarts Mann-Frau-Hymnus auf, und die Zauberflöte hat ihren Auftritt. Den Marsch spielt die Flötistin im Gang über die Bühne: Es ist die Musik, die die Prüfung besteht – im Moment reinster Gegenwart.
Das Orchestra La Scintilla, das im erhöhten Graben sitzt, ist überhaupt wunderbar präsent, farbig, warm und lebendig, schön im «logischen» Kontrastspiel von Tempo und Dynamik, das der Dirigent Cornelius Meister mit Akkuratesse, aber auch nicht überpointiert aus den Noten liest. Mit knapp gehaltenen Notenwerten und zusammen mit der trockenen Akustik des Hauses spricht Mozart im durchsichtigen Klangbild gleichsam kammermusikalisch – mit dem Eigenleben aller Stimmen. Da wird zum Beispiel deutlich – gerade auch in der Prüfungsszene –, wie bedeutsam in der «Zauberflöte» auch ein «Zauberfagott» mitspielt.
Schön auch, wie im Konzert der Stimmen sich Bühne und Orchester verbinden. Am Werk ist ein Mozart-Team, das zum grössten Teil aus dem Hausensemble besteht. Sen Guo fährt als Königin der Nacht ihre spitzen Koloraturen nicht mit grosser Stimme, aber zündender Energie aus, während ihr aufwendiges Glitzerkostüm nur gerade wie ein kurioses Zitat wirkt.
Mauro Peter hat einen unangestrengt wohlklingenden Tenor für einen warmherzigen, sanften Tamino, der im Zorro-Kostüm auch ein bisschen Held spielt. Christof Fischesser gibt den Sarastro mit solidem, schlankem Bass als geschäftstüchtigen Baumeister, dem nichts ferner liegt als eine priesterlich-herrscherliche Aura.
Ruben Drole bekommt als massiver, draufgängerischer und auch lauter Papageno viel, eher zu viel Raum, um sich im Slapstick auszutoben, und das macht, Zwischentöne hin oder her, die Figur nicht nur liebenswürdig.
Paminas Zauber
Deanna Breiwick als Partnerin Papagena und auch die vielen anderen Mitglieder des Ensembles oder Opernstudios bleiben den weiteren Partien nichts schuldig. Mit beherzter Strahlkraft begeistern die Drei Knaben, Solisten des Tölzer Knabenchors, und ebenfalls nicht Hausbesetzung ist die norwegische Sopranistin Mari Eriksmoen für Pamina, die mit einem innigen Sopran und perfektem Messa di Voce zum seelenvollen Glanzpunkt der Aufführung wird, obwohl auch sie nicht verschont bleibt von den Albernheiten einer Regie – Beil, Säge und Metzgerschürze gibt ihr die Mutter zum Mord an Sarastro –, die den zwiespältigen Abend durchziehen.