Medea – Liebe, Hexerei und Kindsmord

Herbert Büttiker, Der Landbote (17.01.2015)

Médée, 15.01.2015, Basel

Das Unfassbarste verstört und ist produktiv: Seit der Antike beschäftigt die Sage um Medea, die Kindsmörderin, die Dramatik.Als Heldin der französischen Barockoper erscheint sie jetzt in Basel auf der Bühne.

Marc-Antoine Charpentier (1643–1704), der Komponist der «Médée», die am Donnerstag in Basel mit grossem Erfolg über die Bühne ging, hat einen Hit geschrieben, den alle kennen: Die Anfangstakte seines «Te Deums» dienen seit über einem halben Jahrhundert als Signet der Eurovision. Sonst aber gehörte der Franzose, der in Sachen Opern im Schatten des übermächtigen Hofkomponisten Jean-Baptiste Lully stand, zu den lange vergessenen Grossen.

Charpentier hat eine einzige weltliche «Tragédie, mise en musique» hinterlassen, eben die 1693 uraufgeführte «Médée», die erst in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wieder ins Scheinwerferlicht des Theaters geriet. Basel präsentiert die Oper nun erstmals in der Schweiz.

Der Zufall will ja, dass man gerade besonders hellhörig auf diese Geschichte der Kindsmörderin Medea reagiert. Auf packende Weise zu erleben ist, wie Charpentier und sein Textdichter Thomas Corneille (der jüngere Bruder des grossen Dramatikers) das Geschehen im Geflecht von Politik und Erotik, von existenzieller Bindung und Liebesverrat und von elementaren psychischen Kräften vielschichtig ausleuchten.

Kantable Rhetorik

Im Hinblick auf die Aktualität liesse sich anmerken, dass der Abend zeigt, wie viele Facetten im medialen Verhandeln des kon­kreten Falls ausgeblendet bleiben (müssen). Stilistisch macht er mit dem völligen Kontrast zur Opera seria eines Händel bekannt. Diese «Médée» überrascht sprachlich mit pointierten Dialogen und musikalisch in einer ganz aus dem Dialog heraus geschaffenen Form, die das Rezitativ kantabel hält und die Musik eng an die Deklamation bindet.

Als gesungenes Schauspiel erlebt man in Basel die Inszenierung. Ein starkes Team von «Sängerdarstellern» mit Magdalena Kozena als Medea an de Spitze rückt ins Zentrum. Unter Nicolas Riegers Regie gibt es das Kammerspiel psychologisch spannender Dialogszenen. Die Ränke, mit denen Créon und Jason, die wahren Absichten einer neuen Liaison gegenüber Médée verschleiern, wie auch Créuse mitmacht und auch den lästigen, aber politisch nützlichen Verehrer Oronte hinhält – all das ist musikalisch wie szenisch scharf gezeichnet.

Kammerspiel und Spektakel

Allerdings ist der komplexe, im Spiegel verdoppelte Bühnenaufbau mit Liftanlage und Stegen (Raimund Bauer) auch eine grosszügige Einladung zum Spektakel, das die barocke Schaulust in moderner Interpretation und auch in modernem Kostüm (Bettina Walter) ausreizt. Mit hereingeschleifter Königleiche, blutüberströmten Kindern und brenndend einstürzendem Palast.

Berührend, im Puls des sensi­blen, farbig-feurigen Musizierens – das Barockorchester Basel La Cetra unter der Leitung von ­An­drea Marcon – stirbt Créuse; ­Meike Hartmann, wunderbar im Charme der kokett verliebten Prinzessin, verschafft ihr einen starken Abgang. Dagegen rückt Médée in der Entwicklung hin zum schauerlichen Finale eher in Distanz. Grossartig, wie sängerisch konzentriert und nuanciert Magdalena Kozena die verletzte Frau gestaltet, wie sie um Jason kämpft und um ihre Würde, ihre Selbstbehauptung gegenüber dem Herrscher.

Die barocken Autoren liessen ihre Médée auch im furiosen Rachefeldzug, der mit der Demonstration ihrer Hexenkünste und klangstarker Dämonenbeschwörung beginnt, nicht ohne Selbstbesinnung. Kozenas gestisch-mimisch ausladende Wahnsinnsdarstellung wirkt da vielleicht barocker als das Stück es – gerade auch in einer modernen Lesart – vorschreibt. Aber gleichviel: ihre fulminante Leistung wurde zu Recht bejubelt. Viel Applaus gab es zu Recht auch für die weiteren Darsteller, Luca Tittoto (Créon), Oronte (Robin Adams) und alles Lob verdiente das Leitungsteam für den herausragend dichten Abend.