Im Land der pervertierten Liebe

Oliver Meier, Der Bund (19.01.2015)

Salome, 17.01.2015, Bern

Konzert Theater Bern bringt «Salome» von Richard Strauss auf die Bühne. Regisseur Ludger Engels trimmt die einstige Skandaloper zum tragikomischen Familiendrama.

«Man töte dieses Weib!», brüllt Herodes und wendet sich ab von seiner Stieftochter. Schauerlich klingt die Dissonanz aus Rumpelpauken, Streichern und schreienden Bläsern. Es sind die Soldaten, die Salome mit ihren Schilden begraben. So zumindest steht es im Libretto. In Bern jedoch brüllt Herodes ins Leere. Er sät Gewalt – und erntet blosses Gelächter.

Was für ein Ende. Der Vorhang fällt. Salome lebt. Und man kann sich fragen, was aus ihr wird.

Die Lächerlichkeit des Bösen

Wer sie ist, hat die Regie in hundert bald flirrend-intensiven, bald ernüchternd-fahlen Minuten herausgearbeitet. Diese Salome ist das Produkt einer vergifteten Familie, hineingewachsen in eine pervertierte Welt, die nichts kennt ausser den Modus der Bemächtigung und der Manipulation. Herodes (John Uhlenhopp) ist ein saufender (Familien-)Tyrann, aggressiv, zynisch, zugleich lächerlich machtlos. Herodias, seine Gattin (Claude Eichenberger), ist pfauenhaft aufgedonnert, von eisigem Hochmut. Manche Szene schrammt die Grenze zum Komischen, aus der Ferne grüsst der Boulevard. So hat sich das Richard Strauss (1864–1949) wohl nicht unbedingt gedacht.

Allerdings: wie kann man der Vorlage heute gerecht werden? Dieser Mixtur aus sexueller Ausschweifung, orientalischer Exotik, Inzest, Mord und Leichenliebe, die bei der Uraufführung 1905 das Publikum elektrisierte?

Regisseur Ludger Engels, der in Bern mit «Macbeth» und «Peter Grimes» Erfolge feierte, ist ein Seelensezierer mit griffiger Regiesprache. Das kommt der Produktion zugute, angesiedelt in einer klaren, kühlen Architektur der Macht, die an die «Macbeth»-Inszenierung (2013) erinnert – bis hin zum Glaskubus, worin der Prophet Jochanaan gefangen gehalten wird. Die Sphären des Privaten und der (Hof-) Gesellschaft sind nur vermeintlich scharf getrennt. Das Gläserne ist Prinzip, ebenso wie das Groteske in Kleidern und Mobiliar, mit Edelsofa und billig-bunten Plastikstühlen.

Die Dissonanzen der Religionsvertreter, das Politische mithin, schwappt ins Familiendrama. Es sind die Juden, die Herodes am Ende dazu bringen, den Wunsch seiner Stieftochter zu erfüllen: ihr den abgeschlagenen Kopf des Propheten zu präsentieren. Dieser Prophet aber (Aris Argiris) ist bei Engels kein Unbeugsamer, der stimmgewaltig für das Hehre eintritt. Er ist ein Mann, den das Werben Salomes durchaus nicht kalt lässt – er tut nur so, mit aller Kraft.

Existenzielle Dramatik

Und die Salome von Allison Oakes? Als pubertierende Göre, schillernd zwischen Naivität und Berechnung, steigt sie bei Engels ins Stück, als Halbgeläuterte wird sie entlassen. Als sie den Kopf des Propheten in den Händen hält, ahnt sie, was Liebe hätte sein können. Doch die Falschheit klebt an ihr wie der Lehm, der allenthalben zum Einsatz kommt.

Wie sich Oakes in der Schlüsselszene in die existenzielle Dramatik steigert, reisst mit und entschädigt für anderes – die verschenkte Schleiertanzszene etwa. Engels lässt hier Salome für den Propheten tanzen, während sich eine Männerhorde um Herodes orgiastisch unter einem Riesenschleier vergnügt. Und wie sie tanzt: Kann man es anders als ungelenk nennen?

Ohnehin stellt man sich bei dieser Salome so seine Fragen. Dass eine arrivierte Sopranistin mit Bayreuth-Erfahrung auf Teenager getrimmt wird, wirkt grundschief. Nach verhaltenem Beginn kommt die Britin vokal zwar in Fahrt, doch das Potenzial der Rolle mitsamt allen Schattierungen im Grenzbereich von Gesang und Deklamation vermag sie nur bedingt auszuschöpfen. Das fällt ins Gewicht und wird kaum aufgewogen durch starke Leistungen im Ensemble bis hinein in die Nebenrollen: Hervorzuheben ist etwa Sophie Rennert als Page der Herodias – wann bekommt sie in Bern mal eine gewichtige Rolle?

Die Klarheit der Regie, das Aufdeckende, es spiegelt sich in der Musik. Kevin John Edusei strebt mit dem Berner Symphonieorchester nach Transparenz, macht präzis den Disput von instrumentalen Stimmen fassbar, die üblicherweise zugedröhnt werden. Vieles wirkt überraschend lyrisch und leicht. Das hat allerdings seinen Preis. Das Extreme der Partitur mit ihren hitzigen Grellheiten, ihrer Erotik auch, wird kaum ausgereizt. Szenisch wie musikalisch hält sich die Verführungskraft dieser «Salome» in Grenzen.