Expressionistisches Drama

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (21.01.2015)

Salome, 17.01.2015, Bern

«Salome» von Richard Strauss beim Konzert-Theater Bern

Nichts von dekadentem Fin de Siècle zeigt die neue Produktion von Richard Strauss' Einakter «Salome» in Bern. Das Stück wird vielmehr konsequent auf seine andere Seite hin zugespitzt.

Das Stück, hier heiss, dort heimlich geliebt, stellt besondere Anforderungen. In ein Haus wie das Stadttheater Bern passt es im Grunde nicht – zu gross für den zwar erweiterten, aber noch immer zu kleinen Orchestergraben ist die Besetzung, die Richard Strauss für seine Oper «Salome» vorgibt. Dennoch kann und soll «Salome» auch in einem Haus wie jenem von Bern gespielt werden, nur sind Reduktionen bei der Orchesterbesetzung in Kauf zu nehmen. Und dies im Bereich der Streicher, denn die Bläserstimmen sind weitgehend solistisch gehalten. Das hat insofern Folgen, als der Gesamtklang nicht von den sanft umhüllenden Streichern, sondern von den deutlich heraustretenden Bläsern geprägt wird. Weder das opulent Philharmonische noch das gläsern Jugendstilhafte der Partitur kann da im Vordergrund stehen, «Salome» wird unter diesen Voraussetzungen vielmehr zu einem expressionistischen Stück.

Personifizierter Widerstand

Die Berner Produktion steht dazu in bewundernswerter Konsequenz. «Salome» ist hier nicht in jene geschichtliche Ferne gerückt, die das Libretto nach dem skandalumwitterten Drama von Oscar Wilde andeutet, ist auch nicht mit der Entstehungszeit der Komposition und ihrer Uraufführung 1911 verbunden, sondern dezent in eine mehr oder weniger konkrete Gegenwart gerückt. Der von Ric Schachtebeck erdachte Salon, in dem sich die schauerliche Geschichte ereignet, sieht so aus, wie er aussehen muss, wenn viel Geld und wenig Geschmack vorhanden ist. Und die in ihrer Zeichnung fast überdeutlichen Kostüme von Katrin Wittig sprechen ihre eigene Sprache. In diesem Palazzo Prozzo herrscht die Dreieinigkeit von Geld, Sex und Macht. Und wenn sich die verlockende Salome, die mit ihrer Mutter Herodias und ihrem Stiefvater Herodes ein Trio infernal bildet, danach sehnt, wahrgenommen oder gar geliebt zu werden, so entdeckt sie im Verlauf der knappen zwei Stunden, dass sie damit auf verlorenem Posten steht.

Allison Oakes vermittelt das ausgesprochen glaubwürdig, allerdings in einer sehr eigenen Weise. Die britische Sopranistin stellt ungefähr das Gegenteil dessen dar, was Mann sich unter einer Salome vorstellt. Verführerisches geht wenig von ihr aus, der Schleiertanz, von der Körperbeherrschung her blendend gemeistert, wirkt eher wie eine Pflichtübung denn wie ein Moment knisternder Erotik. Sie ist vielmehr ganz, und das von Anfang an, personifizierter Widerstand: nicht kindlich trotzig oder pubertär aufbegehrend, sondern grundgefährlich. Das äussert sich auch stimmlich, indem die Sängerin grossartig auf Volumen setzt, viel eher als auf die ziselierte Feinzeichnung, die bei dieser Partie mitunter auch möglich ist. Das betont den Zug ins Expressionistische; jedenfalls kann man an diesem Abend mehr als einmal an einen der Einakter Arnold Schönbergs denken. Der Dirigent Kevin John Edusei, eine Begabung erster Güte, schliesst sich diesem Ansatz voll an; er unterstreicht seinerseits die herben Farben der Partitur und schärft das Geschehen, ohne dabei Kontext und Gesamtwirkung aus dem Blick zu verlieren. Zu der Zuverlässigkeit, mit der ihm das Berner Symphonieorchester hierbei folgt, gehört auch die Tatsache, dass die Sänger auch im Fortissimo nicht zugedeckt werden.

Indessen ist «Salome», das liess diese Berner Premiere wieder einmal mit Händen greifen, ein gesungenes Schauspiel – insofern nämlich, als die Aufführung ganz von den darstellerischen Kompetenzen im Ensemble und der Fähigkeit des Regisseurs zu markanter, auch zu überraschender Figurenzeichnung abhängt. Da zeigen sich die Grenzen der Inszenierung von Ludger Engels. In der Paraderolle des degenerierten Machtmenschen Herodes gelangt der handfest, bisweilen grob artikulierende John Uhlenhopp nur selten übers Klischee hinaus. Auch Claude Eichenberger, die ihre prächtige Tiefe hören lassen kann, bleibt in der Partie der Herodias bei der aufbrausenden Geste stecken; die eiskalte Berechnung und die scharfe Dominanz der zur Ehe gezwungenen Frau über ihren Waschlappen von Mann kommen dagegen kaum zur Geltung.

Jeder für sich

Gerne greift sich Herodes in den Schritt, was nicht weiter aufregend, aber absolut unnötig ist. Theater, auch und gerade Musiktheater, ist die Kunst der Vorspiegelung; sie deutet an, wird aber nirgends wirklich. Das bestätigt bei der Berner «Salome» der Moment, da dem Propheten Jochanaan auf Salomes Wunsch hin der Kopf vom Leibe getrennt wird. Anders als auf Youtube, wo man diesen Vorgang, wenn man will, eins zu eins verfolgen kann, geschieht er auf der Bühne hinter einem Vorhang, während das Orchester für den dramaturgischen Kniff der Mauerschau sorgt – unendlich viel quälender wirkt das. Und das, zumal Aris Argiris mit seinem sonoren Bass einen Jochanaan zeigt, der nicht nur Prophet, sondern auch Mann ist. Allerdings – das macht die halb gelungene Produktion wiederum schneidend deutlich – denkt auch er wie alle in diesem Stück: an sich selber, und das mit furchterregender Ausschliesslichkeit.