Sigfried Schibli, Basler Zeitung (16.02.2015)
Musikalisch bezwingend, szenisch gekonnt: «Daphne» von Richard Strauss am Theater Basel
Als Richard Strauss seine Oper «Daphne» auf ein Libretto von Joseph Gregor zu komponieren begann, war er Präsident der nationalsozialistischen «Reichsmusikkammer». Zum Zeitpunkt der Uraufführung 1938 war er dies nicht mehr, aber der Ruf eines Nazi-Sympathisanten haftete ihm noch lange an. Bis heute ist der späte Strauss umstritten, und nicht wenige Musikliebhaber bedauern, dass er nicht im expressionistischen Stil von «Salome» und «Elektra» weiterkomponiert hat. Die Hofmannsthal-Oper «Der Rosenkavalier» ist die Wasserscheide, die den progressiven frühen vom konservativen späten Strauss trennt.
«Daphne» gehört nun klar dem Spätstil von Strauss an, und dennoch oder gerade deswegen muss man betonen: Es ist ein Meisterwerk. Eine packende Oper in einem einzigen pausenlosen Akt, dicht gewebt aus musikalisch sprechenden Leitmotiven, farbig und sinnlich in der Orchestrierung und den handelnden Personen perfekt auf die Stimmbänder geschrieben. Selbst dem Text des Opernneulings Joseph Gregor kann man einiges Positive abgewinnen. Gregor hat, unterstützt vom politisch obsoleten Juden Stefan Zweig, den griechischen Sagenstoff in ein kompaktes Drama umgegossen, mit wenigen Hauptakteuren und einer Handlung ohne Nebenstränge.
Im Zentrum steht die Fischerstochter Daphne, die erst die Liebe des einem Baum entspringenden Leukippos, dann die des Sonnengottes Apollo auf sich zieht und am Ende an der Überforderung zerbricht. Eine Frau, die nicht nur die einfachen Hirten verrückt, sondern den Apollo zum Mörder macht – per Blitzschlag bringt er kurzerhand seinen Rivalen um die Ecke. Zurück bleiben ein schuldbewusster Gott, der nicht mehr Gott sein will, und eine trauernde Daphne, welcher nichts als die Flucht in den Naturzustand bleibt. Sie verwandelt sich selbst zum Baum.
Dialog mit der Pflanzenwelt
Die Basler Inszenierung von Christof Loy verortet das Stück des «griechischen Germanen» (Strauss über Strauss) im Bayern der Dreissigerjahre. Statt des Olymps sieht man eine einfache Bretterwand (Bühne Annette Kurz), das Volk trägt Lederhosen und Dirndl und trinkt Bier aus grossen Humpen (Kostüme: Ursula Renzenbrink). Daphne hebt sich ab. Statt mitzufeiern – das Dionysosfest steht für eine kollektive Sexorgie – hält sie Zwiesprache mit ihren Pflanzen. Und die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz füllt diese mörderisch schwere Riesenpartie mit jeder Faser ihres Körpers aus, ist ganz die emotional zurückgebundene Frau, die dann doch liebt, ihren eigenen Gefühlen und den Liebesattacken der Männer nicht gewachsen ist und am Ende diesem Widerspruch zum Opfer fällt. Grossartig.
Dem Regisseur hat es gefallen, ihr eine aktivere Rolle als im Stück angelegt zu geben. Daphne ersticht ihren Lover Leukippos, was dem Text widerspricht, aber nicht unplausibel ist: Daphne ist das ausführende Organ des Willens von Apollo. Dass sie von einem im Stil der Dreissigerjahre uniformierten Polizisten in Handschellen gelegt wird, ist ebenfalls eine Zutat der Regie. Eine unnötige, muss man sagen, denn sie provoziert den Reflex: Aha, die üblen Nazis! Ist unser heutiger Umgang mit Aussenseitern und seelisch Kranken so viel besser?
Den Obstler in der Hand
Leukippos ist der erste Liebhaber Daphnes, er will sie mit einem Trick zurückerobern, nachdem er sehen musste, dass ihm mit Apollo ein starker Rivale erwachsen ist: Als Mädchen verkleidet macht er sich an Daphne heran – und als Mädchen verkleidet wird er sein Leben aushauchen. Rolf Romei singt und spielt diese Partie mit lyrischer Inbrunst und heldentenoraler Kraft, und wie bisher jeder Regisseur lässt sich auch Christof Loy die Gelegenheit nicht nehmen, Romeis muskulösen Oberkörper zur Schau zu stellen. Die andere grosse Tenorpartie, die des Apollo, wird von Marco Jentzsch verkörpert, der seine schlanke Stimme in der Premiere manchmal in die Kopfstimme stülpte und bisweilen angestrengt klang.
Beeindruckendes Orchester
Eine originelle Charakterstudie hat sich die Regie zu Daphnes Mutter Gäa einfallen lassen. Diese Traumpartie für eine gereifte Altistin, die bis ins Es hinunterführt, wird auf der Basler Bühne auratisch von Hanna Schwarz verkörpert. Regisseur Loy zeichnet sie als Al-koholikerin auf Stöckelschuhen – ein harter Kontrast zu ihrem Gatten Peneios, den Thorsten Gründel mit sonorem Bass als biederen Hausvater gestaltet. Die kleineren Partien darf man ausnahmslos als gut besetzt rubrizieren.
Die Aufführung hat eine beträchtliche Spannweite zwischen den turbulenten Prügelszenen der jungen Schäfer (Choreografie: Thomas Wilhelm) und dem langsamen Bewegungsduktus der Hauptpersonen. Selten hat man eine Inszenierung gesehen, bei welcher Musik und Bühne so schlüssig aufeinander abgestimmt sind, bei der es so wenig Divergenz zwischen dem Orchestergraben und der Sängerbühne gibt.
Das ist auch den Kollektiven des Theaters, dem Chor und dem Orchester, zu danken. Die Männer des von Henryk Polus einstudierten Theaterchors sorgten, meist aus dem Off, für klangvolle, in der Dynamik differenzierte Beiträge. Und das Sinfonieorchester Basel – ja, es hätte eigentlich beim Schlussapplaus auf der Bühne stehen sollen, denn es spielte unter der Leitung des 85-jährigen Dirigenten Hans Drewanz streicherisch so geschmeidig und bläserisch so charakteristisch und insgesamt so straussisch-virtuos, dass es eine Freude war. Da dachte man bald an den jungen «Gurrelieder»-Schönberg (dem Strauss einst empfahl, er solle lieber Schnee schaufeln als komponieren …), bald an den Wagner der «Götterdämmerung» und dann an die «Vier letzten Lieder». Und entdeckte musikalische Schönheiten, zu denen im 20. Jahrhundert wohl nur der alte Strauss fähig war.