Eine rüde Männergesellschaft zerstört die weibliche Seele

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (16.02.2015)

Daphne, 13.02.2015, Basel

Richard Strauss’ Oper «Daphne»: Musikalisch grossartig und szenisch packend erzählt.

Am Anfang steht der sexuelle Missbrauch. Mit ihm beginnt eine rüde, bäuerliche Männergesellschaft das Zerstörungswerk an der Frau. Sie ist ihr blosses Triebobjekt. Das ist die Vorgeschichte, die Regisseur Christof Loy in seiner Inszenierung von Richard Strauss’ später Oper «Daphne» am Theater Basel mit erzählt. Er überträgt den Stoff aus der antiken Mythologie in die Gegenwart der bayrischen Alpenwelt – also in die Gegend, in die sich Richard Strauss zurückzog und «Daphne» zwischen 1936 und 1938 komponiert hat. So stellt der Regisseur immer wieder direkte Bezüge zur Entstehungsgeschichte der Oper her – und macht sie doch für uns gegenwärtig. Der in Bayern verortete Spielort kann überall sein, Annette Kurz’ Bühnenraum ist Metapher für eine geschlossene patriarchalische und gewaltbereite Gesellschaft, die ausgrenzt, was anders ist.

Mit klaren Andeutungen erzählt Loy, dass Peneios seine Tochter Daphne missbraucht hat, und macht zugleich den Mechanismus sichtbar. Da ist der frustrierte, seine Macht roh auslebende Vater. Die sich besaufende Mutter Gaea ist mitwirkender Teil des Systems und arrangiert sich mit ihrem Umfeld, das von brutalen Männerritualen durchtränkt ist. Thorsten Grümbel als Peneios und die Grande Dame Hanna Schwarz als Gaea machen die Kaputtheit der Eltern deutlich, zeichnen sie auch sängerisch prägnant.

Loy ergründet die Psyche der Figuren. Dabei hört er genau darauf, was Strauss mit seiner Musik erzählt, dringt in deren tiefen Schichten ein. Daphne ist von Beginn weg von Melancholie gezeichnet. Ihre Sehnsucht nach Sinnlichkeit lebt Daphne aus, indem sie sich mit Pflanzen, mit Bäumen verschwistert. Um sich selbst zu verstehen, sucht sie überall nach ihrem Ebenbild, der Spiegelung ihrer selbst.

Eine grossartige Daphne

Die Sopranistin Agneta Eichenholz, die in Basel 2012 bereits bei der Uraufführung von Andrea Lorenzo Scartazzinis Oper «Der Sandmann» begeistert hat, spielt und singt die Daphne herausragend, macht ihre innere Zerrissenheit fühlbar, gibt mit genauer musikalischer Zeichnung ihren Sehnsüchten wie ihren Ängsten beeindruckend Ausdruck. Eine ideale Besetzung.

Bei Loy sind die Bäume, die Daphne besingt, nur noch verkümmerte, verdorrte Topfpflanzen – so verrottet und kaputt wie die Männergesellschaft hier. Da hat auch Leukippos, der wohl sensibelste der jungen Männer, keine Chance, sich Daphne zu nähern – gerade, weil sie auch seinen Eros weckt. Rolf Romei trifft mit seinem hellen Tenor bestens den liebenden und begehrenden Mann, der selbst wie ein Verlorener unter den rohen Kerlen wirkt. In seiner Naivität weiss er auch nichts von Daphnes kaputter Seele.

In dieser Welt muss der grosse, eloquente Fremde mit der Armbrust auf Daphne wie eine Erlösungsfigur, ihr wie ein Gott erscheinen. Er ist in ihrer Fantasie Bruder im Geist und Vaterfigur in einem. Schlüssig verknüpft Loy die antike Göttergeschichte mit den Wunschprojektionen der jungen Frau und lässt zugleich der Gottfigur ihre Rätselhaftigkeit. Marco Jentzsch verkörpert mit strahlendem heldischem Tenor den Apollo perfekt – in der Mischung von väterlicher Gotterscheinung und begehrendem Menschen, der das Dionysosfest für sein Verlangen nutzen will. An diesem Fest der männlichen Säfte und Riten, der perversen Orgie brünstiger Männer nimmt der Wahnsinn endgültig Besitz von der verzweifelten Daphne. Der ausgezeichnete Herren-Chor entfacht die vulgäre, brutal ausgelebte Trieblust, die den Gesängen eingeschrieben ist.

Alle sind Verlorene

Obwohl Loy Apollo klar die Konturen des Menschen gibt, verzichtet er nicht auf den Theaterzauber, den Apollo entfacht. Aus Eifersucht auf den jungen Leukippos, der sich in Daphnes Ebenbild verkleidet und so ihre Liebe gewinnt, bricht Apollo das Fest abrupt ab – mit Blitz und Donner. Hier zerfällt gleichsam die Alphütte. Die Bühne wird zum weiten Seelenraum, in dem alle Verlorene sind. Hier ist es Daphne selbst, die den sich als ihr Ebenbild ausgebenden Leukippos ersticht. Apollo schubst sie in den Tötungsakt. Er erweist sich als schuldiger Mensch – jenseits von irgendeiner Göttlichkeit.

Die Verwandlung der Daphne in einen Baum wird zu ihrer letzten Flucht aus der Welt und in den Wahn. Die als Mörderin verhaftete Daphne verliert ihre Sprache. Agneta Eichenholz berührt tief mit ihrer Schlussarie. Ihre Stimme entschwebt dem Irdischen.

Ergreifende Klangrede

Damit uns Strauss’ «Daphne», mit dem von Joseph Gregor doch eigenartig konstruierten Libretto, erschüttert, genügt es nicht, ihre Geschichte auf der Bühne packend zu erzählen, wie Loy dies tut. Die Klangrede aus dem Orchestergraben muss die Oper tragen, muss unter die Haut gehen. Dies ist der Fall in Basel. Der 82-jährige Altmeister und Strauss-Kenner Hans Drewanz entfaltet die ganze Dramatik und die den Farbenreichtum der Partitur, mit dem hoch konzentriert und detailgenau spielenden Sinfonieorchester Basel erzählt er erschütternd Daphnes Geschichte. Strauss’ Musik erhält bei ihm klare Konturen und zugleich eine Leichtigkeit, sie bleibt trotz riesigem Orchesterapparat jederzeit transparent. Selbst das aufgeraute Blech übertönt nie den Gesang und ist doch von bedrohlicher Kraft. Die beiden versierten Opernkünstler Loy und Drewanz verknüpfen Szene und Musik zum aufrüttelnden Ganzen. Dem Theater Basel gelingt in der Oper ein weiterer Coup.