Die Matrone mit den nervigen Mädchen

Tobias Gerosa, Basler Zeitung (11.03.2015)

Rote Laterne, 08.03.2015, Zürich

Christian Josts Oper «Rote Laterne» wurde am Opernhaus Zürich uraufgeführt

Oper ist, wenn eine Geschichte, singend und mit Musik begleitet, untermalt und kommentiert wird. So einfach, so linear funktioniert die «Rote Laterne» am Opernhaus Zürich. Und man versteht dabei sogar sehr viel vom Text. Was geschieht, wenn die vierte Frau von Master Chen, Song-Lian, in dessen Haus einzieht? Sie trifft auf ein streng kodifiziertes und reglementiertes System, das sie nicht durchschaut. Da sind die drei «alten» Frauen: die Mutter eines schwulen Sohnes, die Matrone mit den beiden nervigen Mädchen und die fremdgehende Opernsängerin. Da ist die Dienerin, von der die Neue nicht weiss, wie loyal sie wem gegenüber ist. Und da ist als Bezugspunkt des stimmigen Ensembles Master Chen, der nicht umsonst nur als Master vorgestellt wird.

Der deutsche Komponist Christian Jost (er hat schon für die Komische Oper komponiert, als Andreas Homoki dort Chef war) wählte während einem China-Aufenthalt die 1991 verfilmte Vorlage für sein Auftragswerk, konzipierte und textete es selber – und verzichtete weitgehend auf das, was man an chinesischer Couleur erwartete. Er schrieb vielmehr einen Psychothriller mit schwankendem Boden, der mit langem Schlagzeugintro beginnt und nach eindreiviertel Stunden an seinen Ursprungsort zurückkehrt – mit einer toten Dienerin und einer schwer beschädigten vierten Frau.

Zuerst fallen die Gesangslinien auf. Dass erstaunlich viel vom Text verständlich wird, hängt sicher an der Diktion etwa bei Rod Gilfrys Chen oder auch den beiden Kindern, aber genauso an der Behandlung der Stimmen. Immer wieder emanzipiert sich die Musik vom Gesang, dreht einen Text erst dorthin, wo er bedrohlich wird.

Nähe zum Musical

Bohrenden Mustern wie aus der Minimal Music und filmmusikalische Dramatik begegnen sich fruchtbar – und manchmal ist auch das Musical nicht weit. Aber auch da steht Christian Josts Musik im Dienste der soghaft-bedrohlichen Beschreibung der Grausamkeit. So bietet diese Musik zugäng­liche Zeitgenossenschaft, die Dirigent Alain Altinoglu mit der Philharmonia Zürich sehr plastisch und farbig ge­­staltet.

Regisseurin Nadja Loschky hat ihren Ausstatter Reinhard von der Thannen ein graues Gefängnis bauen lassen. Song-Lian kriecht durch den (umgekehrten?) Brunnen herein und verlässt es sonst nie. Was hinter den geheimnisvollen vorhangverhängten Türen ist, erfährt sie nicht. Shelley Jackson aus dem Opernstudio besteht in dieser zentralen Rolle stimmlich wie darstellerisch souverän. Ihr bekommt die strenge Stilisierung der Regie gut. Die andern Figuren dagegen bleiben schematischer, mit Ausnahme von Claudia Boyle als dritter Frau, die mit ihren virtuosen Koloraturen musikalisch brillieren kann. Josts «Rote Laterne» steckt den Begriff, was Oper ist, nicht weiter aus. Aber das Werk zeigt, was Musiktheater gerade in der Zeichnung von äusseren und inneren Zuständen kann.