Ehrenrettung

Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (20.02.2015)

Daphne, 13.02.2015, Basel

«Daphne» von Richard Strauss in Basel

Der Bierkrug auf der Opernbühne ist so verbraucht, dass jeder Dramaturg das rote Warnlicht aufleuchten lassen sollte. Sattsam bekannt ist auch das sogenannte Unterhosentheater, zu sattsam. Und nicht zum ersten Mal wird da eine Unterhose heruntergezogen, weshalb einen Lidschlag lang ein recht hübsches Gemächt in Augenschein genommen werden kann. Alles unnötig, weil Verweis auf einen Kanon szenischen Ausdrucks, der von gestern stammt. Aber auch alles halb so schlimm, denn in ihrer interpretatorischen Grundhaltung wie in ihrer Verwirklichung auf der Bühne gehört die Inszenierung, die Christof Loy der späten, verfemten und selten gespielten Oper «Daphne» von Richard Strauss angedeihen lässt, zu den Höhepunkten in der laufenden Spielzeit des Theaters Basel.

Der Mann im Gotte

Drastisch stellt der Regisseur die beiden Welten, die sich in diesem Stück begegnen, einander gegenüber. Vor der rohen Bretterwand, mit der die Bühnenbildnerin Annette Kurz den Spielort teilt, die Welt Daphnes, die dem Apollinischen huldigt und jeder Körperlichkeit abhold ist, dahinter aber, wenn auch immer mächtig nach vorne durchbrechend, das Feld der fast animalischen Sinnlichkeit – und dieses Dionysische ist, das zeigen die Kostüme von Ursula Renzenbrink überdeutlich, auf dem bayrischen Land angesiedelt, wo Strauss die eine seiner beiden Villen hatte. Ihren erwachenden Jugendfreund Leukippos, Rolf Romei verkörpert das packend, mag Daphne als Bruder, nicht als Mann. Als Gott unter den Menschen weiss Apollo das, und so kann er, wie es Marco Jentzsch höhensicher tut, der heiss begehrten Daphne zielsicher nach dem Mund reden. Wenn der Mann im Gotte zur Sache kommen möchte, hebt das Mädchen allerdings entschieden die Hand, worauf alles zusammenbricht. Haargenau ist das aus der Musik heraus entwickelt.

Mit seinem wohlklingenden Bass schaut Thorsten Grümbel als Daphnes Vater Peneios nur wenig zum Rechten, während Hanna Schwarz als die im Alkohol versunkene Mutter Gaea das Spiel gegen ihre Tochter torkelnd vorantreibt – grossartig der Auftritt der berühmten Sängerin. Am Ende lässt sich Daphne von Apollo die Hand führen und nimmt mit dem Dolch des Gottes ihrem Jugendfreund das Leben, worauf sie von einem SS-Kommando abgeführt wird – ein sinnfälliger Hinweis auf die Entstehungszeit der Oper und das Lavieren von Strauss als Galionsfigur der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Spätestens an diesem Moment der intelligenten Deutung Loys wird deutlich, dass das Libretto des Bibliothekars Joseph Gregor weniger Einfalt aufweist, als ihm nachgesagt wird.

Licht im Graben

Und das umso mehr, als die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz die von ihr verkörperte Figur der Daphne zu einer durch und durch gegenwärtigen Erscheinung macht. Szenisch, vor allem aber auch musikalisch: mit einer leuchtkräftigen, ohne Druck geführten Stimme. Wie sich überhaupt die szenische Brillanz in musikalischer Exzellenz spiegelt. Ausgezeichnet besetzt ist das Ensemble, und das bis in die Nebenrollen, etwa der Magd von Sofie Asplund, die einen obertonreichen Sopran einbringt. Die eigentliche Sensation ereignet sich aber im Graben, wo sich das Sinfonieorchester Basel von der allerbesten Seite zeigt. Es tut das unter der souveränen Leitung von Hans Drewanz. Der 85-jährige Dirigent, hinreissend in seiner Präsenz und seiner Vitalität, formt die komplexe Partitur aus einem Geist der gelassenen Übersichtlichkeit heraus. In Tempi, die jederzeit stimmig wirken, spannt er weite Bögen, und mit seinem Sinn für Reiz wie Proportion lässt er die Instrumentalfarben schillern, ohne das Vokale in seiner Entfaltung zu behindern. Vielmehr steht er liebevoll an der Seite der Sänger, atmet er mit ihnen und trägt sie. Meisterhaft ist das, man kann es anders nicht sagen. Wie die Produktion überhaupt ein glänzendes Plädoyer darstellt für ein Stück, das zu Unrecht in der Ecke steht.