Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (21.04.2015)
Die Premiere von Verdis Oper «La Traviata» am Zürcher Opernhaus wurde am Samstag zum Triumph für die bulgarische Sopranistin Sonya Yoncheva und den Dirigenten Marco Armiliato. Die Inszenierung von David Hermann dagegen profilierte sich vor allem durch ihr Bemühen, anders zu sein.
Glück im Unglück für das Opernhaus: Nach der Orchesterhauptprobe sah sich Anita Hartig ausserstande, die Traviata-Premiere und alle weiteren Vorstellungen, für die sie sechs Wochen geprobt hatte, zu singen. Die bulgarische Sopranistin Sonya Yoncheva hatte ihrerseits die Lucia di Lammermoor, die sie im gleichen Zeitraum in Zürich singen sollte, abgesagt, weil sich ihre Stimme verändert hat – in Richtung, zum Beispiel zur Violetta in «La Traviata». So war sie noch frei und lernte die Inszenierung von David Hermann in wenigen Tagen. Musikalisch hatte sie die Partie ohnehin noch ganz frisch in der Stimme, nach ihrem Triumph an der New Yorker Metropolitan Opera im Januar. Und das erst noch unter der Leitung von Marco Armiliato, der auch in Zürich am Pult steht.
So musste man also gar nicht bangen um die Einspringerin, und Yoncheva bewies denn auch ganz grosses Format. Nachdem ihr die Koloraturen und Hochsprünge im ersten Akt noch eher durchschnittlich gelungen waren, gewann ihre Interpretation spätestens im zweiten Akt, im Moment von Violettas Verzicht auf die Liebe ihres Lebens hohe Intensität, dynamische und klangfarbliche Vielfalt und berührende dramatische Ausdruckskraft. Und auch Armiliato trug sehr viel zu diesem intensiven Rollenporträt bei: durch seine souveräne Zuverlässigkeit einerseits, die ein paar wenige Koordinationsprobleme sofort ausbügelte, aber viel mehr noch durch die Subtilität und fein austarierte Dynamik der Orchesterbegleitung, die den Sängern alle Freiheiten liess, die Stimmen nie zudeckte, aber dennoch Spannung und Energie nie vermissen liess und immer wieder durch schön herausmodellierte Instrumentalfarben aus dem sehr gut disponierten Zürcher Opernorchester aufhorchen liess.
Die beiden Männer an Violettas Seite
Davon profitierten natürlich auch die beiden Männer an Violettas Seite: Pavol Breslik sang den Alfredo mit tenoraler Strahlkraft und viel Herzblut aber manchmal etwas hart an seinen stimmlichen Grenzen, was Klangfarben und Timbre etwas beeinträchtigte. Über weit mehr Reserven verfügte Quinn Kelsey in der Rolle von Alfredos Vater, Giorgio Germont. Der Bariton aus Hawaii, der schon als Rigoletto in Zürich brilliert hatte, zeigte alle Facetten seiner prächtigen Stimme, liess die Linien berauschend schön strömen und überzeugte mit seinem gespannten Piano auch in den leise gesungenen Passagen.
Weniger Begeisterung weckte die Inszenierung von David Hermann. Sein Handwerk versteht der deutsche Regisseur zwar, gekonnt etwa, wie er mit wenigen Gesten eine Rivalität zwischen Flora und Violetta herstellt – sie sind schliesslich Konkurrentinnen im Kurtisanen-Business, überzeugend auch, wie er die zerrüttete Vater-Sohn-Beziehung zeigt. Sonst aber ist vieles in seiner «Traviata» vor allem Zeugnis intellektueller Beschäftigung mit einem viel beschäftigten Stoff, den man auf die Möglichkeiten abklopft, alles möglichst anders zu machen.
Abstrakte Beleuchtungseffekte auf der Bühne
Schon die Achtzigerjahre-Party zu Beginn ist klinisch tot, das ländliche Refugium des Liebespaars im zweiten Akt findet auf denselben Sofas statt, nur eine Gummipalme, an der man sich abreagieren kann, behauptet Idylle. Die Showeinlagen in Floras Fest – die handlesenden Zigeunerinnen und Stierkampfparodien – mutieren zur Folterorgie an Alfredo, der eigentlich noch gar nicht da wäre. Nicht da ist er aber am Ende: Bei Hermann bildet sich Violetta, die in einem Lazarett gelandet ist, die Rückkehr des Geliebten bloss ein. Sinn allerdings gewinnt Hermann aus seinen Umdeutungen kaum, auch die Kraft der Bilder, die er zusammen mit seinem Standard-Partner Christof Hetzer auf die Zürcher Opernhausbühne stellte, hält sich in ihrem unspezifischen Podestwirrwarr und abstrakten Beleuchtungseffekten an der Rückwand in überschaubaren Grenzen.
Sinn gewinnt Hermann aus seinen Umdeutungen kaum, auch die Kraft der Bilder, die er zusammen mit seinem Partner Christof Hetzer auf die Zürcher Opernhausbühne stellte, hält sich in überschaubaren Grenzen.