Die Mozart-Oper im Zeitgeist-Destillat

Herbert Büttiker, Der Landbote (27.04.2015)

Così fan tutte, 24.04.2015, Basel

«Così fan tutte» – alles klar: Mozart! Oder doch nicht? Mit Mozart heisst es für den Abend des Regisseurs Calixto Bieito. Er erntete viel Applaus, aber Bombenstimmung erlebte Basel vor der Premiere.

Der mysteriöse Koffer auf dem Theaterplatz war unter der Kontrolle der Sicherheitsleute, und im Theaterrestaurant liess sich locker über das bisschen Sterben spassen und dar­über spekulieren, ob es ein Mozart-Fundamentalist war, der den Betrieb für Stunden lahmgelegt hatte. Denn angekündigt war eben nicht Mozarts Oper, sondern ein Abend mit dem «Material» von «Così fan tutte».

Dass der Abend nur rund eineinhalb Stunden dauern sollte, erwies sich nun als Vorteil: Obwohl die Aufführung erst nach halb neun begann, war sie um zehn Uhr zu Ende: Dies mit grossem Applaus für alle Beteiligten, den Regisseur eingeschlossen, der sichtlich aufatmete, als er auf die Bühne kam. Der Fundamentalist sass nicht im Publikum.

Kammerspiel im Zeitgeist

Einen Abend aus dem Geist von «Così fan tutte» hatte Bieito im Sinn gehabt, eine «Annäherung voller Demut vor dem originalen Werk». Wenn man am Ende dennoch zum Schluss kommen konnte, man hätte lieber eine Inszenierung der Oper erlebt, so nicht aus prinzipiellen Kunstschutzüberlegungen. Doch zum einen ist diese Oper gerade im Spannungsfeld der psychologischen Mechanik des Librettos und der so seelenhaften Musik immer wieder aufs Neue so aufregend fragwürdig, dass man sich eigentlich keine Gelegenheit entgehen lassen sollte, sie auch zu befragen.

Zum anderen war da ein starkes Mozart-Ensemble, das man gern im Stück und Rollenspiel erlebt hätte, die grossartige Anna Princeva als Fiordiligi zumal, aber auch Solenn’ Lavanant-Linkes temperamentvolle Dorabella, Arthur Espiritus lyrisch feiner Ferrando und Iurii Samoilovs kernigen Guglielmo, dazu spritzig und klangschön bläserbetont das Orchester unter der Leitung von Ryusuke Numajiri.

So platt das «So machen es alle (Frauen)» daherkommt und so wenig der Titel im Femininum auf das doch weit seltsamere Tun der Männer hinweist – hintergründiger als mit dieser Oper ist der Liebesdiskurs kaum zu führen. Den greift Bieito mit der Frage auf, die, wie er meint, zur «Così» alle stellen: «Was passiert mit den Paaren nachher, nach dem Ende der Opernhandlung?» Er hat sich dafür eine weisse Bühne geschaffen, deren schlichte Architektur auch dem Orchester Platz bietet.

Das grausame Spiel

Das ist ein expliziter Ansatz, nicht die Oper zu inszenieren, Bieito hat seine liebsten Stücke zu einem «kammerspielartigen Oratorium über die Liebe» zusammengefügt, die Hälfte der Nummern sind zu hören, teils ganz, teils beschnitten oder unterbrochen. Er konfrontiert diese frivol oder beherzt blühende Musik hart mit der gnadenlos desillusionierten Poesie des Franzosen Michel Houllebecq über die Liebe, was sie ist und was sie nicht ist. Sie ist zum Beispiel der kurzatmige Rentner im Pornokino, und sie ist zum Beispiel nichts, was man verpassen könnte: «Das hier ist nur ein grausames Spiel, und ihr seid die Opfer; ein Spiel für Spezialisten nur.»

Sehr, sehr nach Opfer sehen die beiden Paare aus, die da zu Beginn aus dem einen Bett herauskriechen und sich kaum erheben können vor lauter Katerstimmung und Liebeselend. Und schon ganz kaputt ist das reifere Paar Despina (Noëmi Nadelmann) und Alfonso (Andrew Murphy), das das houllebecqsche Liebesendspiel intensiv verkörpert, es heftig rezitiert und, was sie betrifft, mit sehr überreifer Stimme zersingt. Auf den existenziellen Ton fokussiert, trifft Mozart so den Zeitgeist, aber der Zeitgeist verpasst dafür die parodistische Heiterkeit der «Così».