Die Libido macht nicht nur froh

Tom Hellat, Tages-Anzeiger (27.04.2015)

Così fan tutte, 24.04.2015, Basel

Die meisten Opernhandlungen bestehen darin, dass gut angezogene Leute sich irgendwann gegenseitig ausziehen wollen. Beim ­katalanischen Regisseur Calixto Bieito ist es umgekehrt. Da liegen die Paare erst nackt unter der Decke, um sich wieder chic anzuziehen. Gekleidet werden sie aber vor allem vom glücklichen ­Unglücklichsein, das sich wie ein roter ­Faden durch Bieitos Adaption von ­Mozarts Oper «Così fan tutte» zieht.

Einem Menschenknäuel gleich schlafen die Sänger und Sängerinnen Anna Princeva und Arthur Espiritu, Solenn’ Lavanant-Linke und Iurii Samoilov schon vor Opernbeginn im samtigen Bettgemach. Wer zu wem gehört, entschied die Nacht. Wo bei Mozarts Oper noch ein Verlangen dem nächsten folgte, ist hier der Koitus vollzogen, das grosse Erwachen angesagt. So schleicht sich die Enttäuschung in die Figuren hinein, zupft etwa am Rock der hibbelig spielenden, aber umso klarer singenden Anna Princeva. Finden tun sich die Paare nicht mehr, aber sehnsuchtsgierig sind sie immer noch. Und wenn schliesslich doch noch geheiratet wird, lächerliche Papierschlangen umherschwirren und Mozarts C-Dur erstrahlt, brennt das grelle Neonlicht jede Romantik weg. Lauter erotisch aufblitzende Menschen sind das, in die Liebe und Leere zugleich hinein- und wieder herausfliessen.

Hinreissend gelingt das besonders Noëmi Nadelmann, die als Despina die Anstifterin gibt. Ihre Anfangsarie singt sie nicht, sondern haucht sie wie eine blasse Erinnerung an etwas längst Vergangenes. Wie ein beschwipstes Nachsinnen eines grossen Auftritts. Sie umschmeichelt ihre Sehnsüchte, verschlingt sie, dringt in sie ein, ermattet an ihnen. Mal mit rauchig abgekämpfter Stimme, mal mit Wut und Feuer im Ausdruck flattert sie durch die anzüglichen Intermezzos mit Texten von Michel Houellebecq. Ihre Rolle hält sie in diesen Texten exakt taumelnd auf der Kippe zwischen Lächerlichkeit und Tapferkeit, Verlangen und Kitsch, Redseligkeit und stummem Begehren, Flirt und Grausamkeit.

Und wo bleibt die Musik? Von der ­ursprünglichen Oper sind nur wenige Teile übernommen und neu geordnet. Diesem Mozart hat es Bieito ordentlich besorgt. Die Liebe, wispert er einem zu, ist schmutzig, und die schöne Musik ­ändert das nicht. Vielmehr: Sie verstärkt es noch. Denn je höher der Unterwäsche-Koeffizient auf der Bühne, desto schöner und reiner kann sie blühen. Auch des­wegen, weil das empfindsam agierende Sinfonieorchester Basel (Leitung: Ryusuke Numajiri) hinter einem Gazevorhang spielt und so Mozarts Arien noch unbefleckter rüberkommen.

Erlösung durch die Musik also? Nicht ganz. Am Ende, wenn die Paare wieder angezogen und desillusioniert die Bühne verlassen, macht Nadelmann die Betten einfach neu, lächelt beschwingt ins Publikum und trippelt davon. Die Musik winkt ihr zart Adieu, holt noch einmal Luft für einen glücklichen Abschluss und – versiegt vor dem letzten Ton.