Die Traurigkeit der Liebe

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (29.04.2015)

Così fan tutte, 24.04.2015, Basel

Calixto Bieito hat mehrfach für polarisierende Operninszenierungen gesorgt. Was er mit «Così fan tutte» anstellte, ging nun darüber hinaus.

Das Ende des Stücks «Così fan tutte» ist bei Mozart und seinem Librettisten Lorenzo Da Ponte schon ein wenig unbestimmt. Dem Happy End, herbei gezwungen durch die wieder zurechtgerückte Liebes-Konstellation der beiden Paare haben schon viele Regisseure misstraut. Und mit den beiden Drahtziehern Don Alfonso und Despina in dieser Komödie um Liebe, Leidenschaft und Treue sind im aktuellen Theater schon etliche Beziehungsmuster zugeordnet worden. Das alles verträgt sich ohne Probleme mit dem Stück, der Geschichte, dem Text und der Musik. Für das, was Calixto Bieito aber jetzt aus dieser Oper in Basel fabriziert hat, trifft das in keiner Weise mehr zu. Bisher hat der spanische Regisseur die Stücke zwar oft eigenwillig erzählt, Figuren umgedeutet, fast immer mit viel nackter Haut und Theaterblut die Intensität zu steigern versucht, aber er hat die Struktur der Opern und die Abfolge der Musik jeweils nicht angetastet.

Das hat er nun gewagt, und zwar in denkbar radikaler Weise. Der erste Auftritt gehört einer betrunkenen, eher 50- als 15-jährigen Despina, die verirrte Linien aus ihrer Partie pfeift, während ein einsamer Hammerflügel als Stilzitat an Mozart erinnert. Die beiden Liebespaare liegen einträchtig schlafend zusammen in einem Grand Lit. Es scheint, wir sind am Ende der Oper angelangt, aber Bieito erzählt die Geschichte nun nicht als Rückblick. Zwar spielt das Orchester darauf die Ouvertüre, aber die Handlung geht weiter: Was passiert nach der Verwirrung der Gefühle mit den vier Protagonisten, fragt Bieito. Und seine Antworten sprechen entschieden gegen jede Seitensprung-Versuchung. Verkatert schälen sich die Vier aus den Laken, ausser sich, zitternd, unfähig, das Geschehen einzuordnen, zu verarbeiten, unfähig auch, miteinander darüber zu sprechen. Dafür sinniert Noëmi Nadelmann als Despina mit Zeilen von Michel Houellebecq über Lebensüberdruss, Sexmüdigkeit und Altern oder wirft sich Don Alfonso, von Andrew Murphy gespielt, dezidiert an den Hals, der von solchen Avancen nichts wissen will und seinen Ekel aggressiv mit Houellebecq unterstreicht. Despina versucht noch, den Schaden, den sie anzurichten geholfen hat, mit Hochzeitsklamotten und Gute-Laune-Confetti zu kitten, während Alfonso an gar nichts mehr interessiert zu sein scheint. So ist klar: Am Ende gehen sie alle sechs getrennt auseinander, und das nach 80 Minuten, mehr bleibt nicht von «Così fan tutte».

Dabei wäre das Stück bis weit in die zweite Hälfte eine oberwitzige Komödie. Mozart hat zwar in seiner grandiosen Musik emotionale Fallhöhen eingebaut, aber man kann diese Arien und Ensembles nicht hören, ohne die Momente von Klamotte und Verstellung mitzudenken. Das Orchester spielt mit kammermusikalischer Transparenz hinter einem Vorhang auf der Bühne. Der Kontakt zu den Sängern ist dadurch erschwert. Ausser, dass die vier jungen Darsteller (Anna Princeva, Solenn’ Lavanant-Linke, Iurii Samoilov und Matthew Newlin) auch in Unterwäsche eine gute Figur machen und unter diesen Umständen gut singen, haben wir nichts Erhellendes mitgenommen von diesem Abend.