Beseelt in den Tod

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (24.06.2015)

I Capuleti e i Montecchi, 21.06.2015, Zürich

So geht Belcanto! Das Opernhaus zeigt als Festspielpremiere eine überzeugende Interpretation von Vincenzo Bellinis Romeo-und-Julia-Version «I Capuleti e i Montecchi».

Ein Familien-Standbild, ein Trommelwirbel – Drehung – Leichen überall – Drehung – ein angedeuteter Missbrauch. Christoph Loy wirft das Publikum schon mit der Ouverture von Vincenzo Bellinis «I Capuleti e i Montecchi» in eine gefährliche Welt, wo der Tod wörtlich allgegenwärtig ist. Dabei gelten die Belcanto-Werke – also die italienischen Opern bis etwa 1840 – immer noch als szenisch uninteressant, als «Primadonnenfutter». Was diese Neuproduktion auszeichnet, ist, wie Musik und Szene zusammengehen.

Ständiges Drehen

Christian Schmidt hat eine seiner typischen, grossbürgerlichen Drehbühnen-Wohnungen dafür gebaut. Eine geschlossene Welt, die fast konstant in Bewegung ist. Nicht immer wird allerdings klar, warum sich der Chor (eher dröhnend) durch die Türen drängen muss. Darin residieren die Capuleti, die Familie Giuliettas. Sie soll mit Tebaldo verheiratet werden, liebt aber Romeo, Chef der verfeindeten Familie Montecchi. Das geht natürlich schief, was Bellini die Möglichkeit unendlich schöner, melancholischer Melodien gibt. Die Interpreten müssen sie mit Leben füllen, sonst würde die fehlende Dramatik der Handlung rasch in Langeweile münden.

Nicht so am Opernhaus, wo auch Chefdirigent Fabio Luisi sensibel und mit viel Gestaltungsraum für die Sänger dirigiert. Nur warum dreht er in den Ensembles und Chören dermassen auf? Dabei macht Regisseur Loy eher zu viel, indem er das Stück ständig drehen lässt, es als Rückblick Giuliettas inszeniert, ihr einen personifizierten Tod zur Seite stellt (den unheimlich präsente Tänzer Giergij Puchalski) oder Romeos Gefolgschaft als Proletarier in die Oberschicht einbrechen lässt.

Vokale Sternstunde

Entscheidender ist allerdings, wie genau und musikalisch er die Protagonisten zeichnet. Wie er ihnen die Möglichkeit gibt, ihrem Gesang als Bühnenfiguren Sinn zu geben und sie durch die teilweise extrem langen Gesangslinien zu charakterisieren. So bekommt jedes Rezitativ und jede Koloratur ihren innern Sinn und ist nicht mehr nur blosses Zierwerk. Darum geht es bei Bellini und dafür stehen in Zürich drei herausragende Darsteller auf der Bühne.

Als Tebaldo hat Benjamin Bernheim die undankbarste Partie, zeigt aber in seiner Szene wie auch im Duett mit Romeo, dass er nicht nur über die nötige Höhe und Leichtigkeit verfügt, sondern sie stilsicher einzusetzen vermag. Stilsicher heisst hier sehr oft leise und erfüllt. Das führen die sehr junge Olga Kulchynska als warmstimmige, nie soubrettige Giulietta und der amerikanische Mezzo-Star Joyce Di Donato als Romeo in einer Art vor, die süchtig machen kann. Jeder Seufzer sitzt, jedes Wort und das Zusammengehen klappt perfekt und unglaublich innig. Wer hören – nein, erleben will, wie Belcanto beseelter Ausdruck eines Figureninnern bedeutet, welche Kraft leise Töne haben, sollte ins Opernhaus gehen.