Prinzipale, Primadonnen und andere Tiere

Herbert Büttiker, Der Landbote (05.09.2015)

Der Schauspieldirektor, 03.09.2015, Winterthur

Dieses Theater ums Theater ist erheiternd: Mit dem «Schauspieldirektor» machen sich das Theater Kanton Zürich und das Opernhaus gemeinsam lustig über die menschlich allzu menschliche Seite des Bühnenlebens.

Auf der Bühne ist hinter der Bühne – mit diesem Ansatz hat sich das Theater schon immer selber auf die Schippe genommen. Ein kaiserliches Bankett in der Orangerie von Schloss Schönbrunn im Jahr 1786 führte zum Auftrag an die Autoren der «Entführung aus dem Serail». Gefragt war eine Komödie mit Musik, und die Vorgabe stammte von Seiner Majestät selbst: Ein dubioser Prinzipal will eine Truppe zusammenstellen und lädt zum Vorsingen und Vorsprechen ein.

Mozart schrieb ein paar grossartige Stücke, eine Ouvertüre, zwei Arien, ein Terzett und ein kurzes Finale, Gottlieb Stephanie d. J. schrieb einen Text, mit dem heute nichts mehr anzufangen ist. Aber auch wenn sich Sprache und historische Umstände im Theaterleben gewandelt haben, geblieben sind die hysterischen Zustände, und diese potenzieren das Theater Kanton Zürich und das Opernhaus in ihrer ersten gemeinsamen Produktion zu einem neuen Stück, das Sängereitelkeit und Schauspielermarotten zum satirischen Lachtheater kombiniert.

«Wo soll der denn hin, wenn nicht zum Theater?» – der neue Text von Stephan Benson streut spitze Pointen in den Dialog des Schauspieldirektors Frank (Daniel Hajdu) und der Schauspielerin und Partnerin Eiler (Katharina von Bock), die ihm beim Casting dominant assistiert. Sie hält die hehren Ideale der Kunst so hoch, dass alle durchfallen würden, wäre da nicht ihre hinschmeisserische Schwäche für den Tenor.

Virtuose Arien so oder so

Diese Sachlage überfordert Frank, der das labile Gemüt seiner Diva ohnehin nur mit Mühe unter Kontrolle halten kann. Die Bühne ist somit auch ihre Beziehungskiste, und wie sie diese boulvardesk über die anderthalbstündige Aufführung glänzend füllen, geht auch Richtung Charakterkomödie. Dabei gefällt bei ihm besonders auch das Understatement, bei ihr das mimische Repertoire, das jeden Emoji-Katalog übertrifft.

Der Abend hat mit diesem Paar die grosse Klammer, aber er lebt natürlich auch sehr von den Nummern und Scharmützeln der Casting-Kandidaten, und da ist Chargieren angesagt, was das Zeug hält. Das ist vielleicht da und dort auch grenzwertig, aber in allem auch: wie viel Witz und Wahrheit in der grotesken Überzeichnung.

Da ist der Tausendsassa Stefan Lahr, der die Apfelschussszene als Tell, Walterli und Gessler zugleich veralbert, da ist Andreas Storm mit seiner gekonnt trampeligen Antitanzeinlage zur «Kleinen Nachtmusik», da ist Miriam Wagner, die mit tragischem Furor in immer wieder anderen Rollen und kauzigen Kostümen den Casting-Erfolg sucht – das ­alles sind gleichsam Koloraturen­arien der Schauspielerei: Auch die Talentlosigkeit der «Gurkentruppe» ist bestens einstudiert.

Die richtigen Arien servieren aber die beiden Sopranistinnen Deanna Breiwick und Rebeca Olvera, die sich als Primadonna Silberklang respektive Herz in die Haare und Töne geraten, schliesslich der Tenor Vogelsang (Spencer Lang), der vermittelt, aber vor allem anbändelt. «Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren», singt wegen ihm zuerst Frau Herz, dann Frau Silberklang, schliesslich aber auch er selber. Denn mit dem «Silberklang»-Sopran, in dem auch der Hölle Rache bis ins hohe F hinaufkocht, ist nicht gut Kirschen essen.

Das Kuriosum Oper

Witzig kommt so die «Zauberflöte» in diese Produktion, und mit einem Schwank unter der Gürtellinie beziehungsweise der Krinoline ist auch die «Entführung» im Spiel: «Welche Wonne, welche Lust» gelingt Frau Herz hier ungemein echt. Frau Silberklang dagegen zeigt, wie schön es sich in der Oper selbstmorden lässt, und dem nicht eben sprachmächtigen Tenor – «in der Oper versteht man eh nichts», nimmt ihn die Eiler in Schutz – eilt man in der Arie aus Mozarts deutschem Singspielfragment «Zaide» mit Texttafeln zu Hilfe.

In all dem ist seriöse Gesangskunst gefordert und zu geniessen, musikalischer Ernstfall und Pa­rodie fallen in eins. Am schönsten zeigt sich das im brillant gesungenen Terzett, in dem Mozart die Rivalität der Sängerinnen bis ins dreigestrichene F (für die Herzdame) grandios in Noten gesetzt und «inszeniert» hat. Für die mobile Produktion wurde der volle Orchestersatz für ein Bläserquintett adaptiert. Dieses klingt – von den eher kuriosen Keybord-Einsprengseln einmal abgesehen – unter der Leitung von Thomas Barthel auch ganz mozartisch.

«Der Schauspieldirektor – Komödie mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart» nennt sich die Produktion zu Recht, wobei die «Komödie» ganz die des aktuellen En­sem­bles und ihres Regisseurs Rüdiger Burbach ist. Da purzeln die Einfälle vom ersten Auftritt an bis zu den tierischen Aufwärmspielen, mit denen der En­sem­ble­geist geformt werden soll. Den feiert und konterkariert wunderbar der Schlusschor – in der TZ-Opernhaus-Truppe aber lebt er offensichtlich prächtig.